Drucknachweise und Anmerkungen aus dem Anhang Band 5 S.421 - 430
Das Eglseder-Fragment
Aus Eglseders Erzählungen
Tod eines Dichters
Diese Ausgabe bringt das Fragment in der textidentischen Fassung wie
im Nachlaßband Anfang und Ende und enthält darüber
hinaus eine längere Variante des Beginns der Erzählung, die von
Britting verworfen wurde.
In Egbeder läßt Britting sich so wenig wie
in der Afrikanischen Elegie zu einer verklärten Sicht der unverstörten
Heimat verführen, zeigt vielmehr das illusionslose Wissen um die Gefährdung
auch dieser »kleinen Welt«. Bewahrt wissen möchte er von
ihr, was im nüchternen Rückblick nach der Erfahrung eines langen
Lebens standzuhalten vermag.
Ein erster Hinweis, wann Britting mit der Arbeit an seiner Eglseder-Erzählung
begann, ergibt sich aus einem kurzen Briefwechsel mit Joachim Günther.
Dieser teilte am 21. 10. 1953 Britting seine »abenteuerliche Absicht«
mit, im Frühjahr 1954 zusammen mit Paul Fechter »eine neue Literatur-
und Kulturzeitschrift« herauszugeben. Günther wollte sich mit
diesem Brief der Mitarbeit Brittings versichern.Am 3. 6.1955 schrieb ihm
Britting:
Das beiliegende Stück Prosa ist ein Teil einer größeren Arbeit, das aber für sich stehen könnte, meine ich. Die »Reinschrift« habe ich durch Korrekturen wieder »unrein« gemacht, aber sie ist deutlich zu lesen. Wenn Ihnen die Arbeit für die »Neuen deutschen Hefte« geeignet erscheint, bitte ich um einen Honorarvorschlag.Das Manuskript hatte den Titel »Schindgrebel und seine Freunde«. Es erschien nicht in der Zeitschrift Neue deutsche Hefte, nachdem Joachim Günther als Grund für seine Ablehnung angab, die Prosa sei für die Zeitschrift rund zehn Seiten zu lang:
An Jung schreibt Britting am 28. 7. 1956:Am 29.10.1955 waren in der Süddeutschen Zeitung die »Portugiesischen Zwillinge« erschienen; am 9. 6. 1956 erschien ein weiteres Bruchstück mit dem Titel »Von Egidis Braut und seinem Mütterchen«.
ich arbeite langsam und mühsam an einer größeren prosaarbeit, bruchstücke erster fassung sind ihnen ja schon vor augen gekommen.
Die verschiedenen eglseder-egidi-bruchstücke sind jetzt vielleicht 4o-5o schreibmaschinenseiten, ich verschicke sie trümmerweise an zeitungen - einmal werd ich das ganze schon aufeinmal publizieren. Und somit ihnen alles gute und schöne! ihr alter britting. ein paar bruchstücke vom eglseder-epos liegen bei.Einen Monat nach Brittings Tod, am 30. 5. 1964, erkundigte sich Jung bei Georg-Britting-Stiftung Britting:
Wieviel mag außer den fünf Stücken des Eglseder-Epos, die ich gesammelt habe:Diese äußerst schwierige Aufgabe zu übernehmen, wurde Jung nun von den Herausgebern gebeten. Anfang August 1964 kam er nach München, das Manuskript des Fragments eigenhändig nach Helmstedt zu bringen. Die letzte Mitteilung, Eglseder betreffend, hatte er am
Portugiesische Zwillinge
Von Egidis Braut und seinem Mütterchen Der Herr aus der Donautiefe
Mondnacht im Schlafsaal
Die Frauen am Fenster
vorhanden sein? Ich kann mir denken, wie schwierig es sein wird, gerade diese leider Torso gebliebene Erzählung herauszugeben. Ich schrieb Britting einmal, wie gespannt ich darauf wäre, wie er einmal die Einzelstücke zu einem Ganzen zusammenfügen würde.
Von den egidi-geschichten hab ich an die 6o seiten, aber recht durcheinander, da ein stück, dort ein anderes; bis ich da ordnung hineinbringe! [...] ein Tohuwabohu!Mit seiner letzten Bemerkung hatte Britting nicht übertrieben. Er hinterließ ein ungeordnetes Konvolut, teils in Handschrift, teils als Typoskript. Zwei durchgearbeitete Teile der Erzählung liegen vor, bei einer dritten Fassung war der Name Eglseder mit Bleistift durchgestrichen und durch Schindgrebel ersetzt; möglicherweise handelt es sich um das von Joachim Günther abgelehnte Manuskript. Einige Teile der Erzählung, die bereits in Zeitungen abgedruckt worden waren, fehlten.
2. Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen, ohne Titel, 19 Blätter
3. Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen mit dem Titel: »Holderbach«.
23 gez. Blätter
4. Korrekturabzug mit dem Titel »Holderbach«. 5 gez. Bögen
5. Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen mit dem Titel: »Von
Egidis Braut und seinem Mütterchen«. 5 gez. Blätter
6. Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen und Ergänzungen
ohne Titel, 6 Blätter
7. Sonderdruck des Schlusses der Erzählung mit dem Titel: »Unter
schwarzem Himmel« aus Jahresring 61/62, S. 189-193
8. Typoskript/Manuskript, 41 Blätter Entwürfe, davon auf
Bl. 10-37 zu einem unveröffentlichten Kapitel mit dem Titel: »Flör«
(auch: Hirschkäfer: Unser Freund Flör; Fred).
Am 15. 8. 1964 schreibt Jung an Georg-Britting-Stiftung Britting:
Natürlich habe ich mich schon mit dem Manuskript der Eglseder-Erzählung beschäftigt. [...] Nach mehrmaligem Lesen sehe ich schon etwas klarer. [...] Es ist ja eigentlich erschütternd beim Lesen und Studieren (so muß man es fast nennen) des Manuskripts, zu sehen, wie mühsam Britting in den letzten Jahren gearbeitet hat, zumal wenn man sich erinnert, wie er Teile des Hamlet in einem Zuge und so sicher hingeschrieben hat, daß er für den Setzer keine Korrekturen mehr zu machen brauchte; er mußte nur den Substantiven große Anfangsbuchstaben geben.Wie wimmelt es im Eglseder von Korrekturen, wieviel Unschlüssigkeit! Ich vermisse das Manuskript der, wie mir scheint, bedeutendsten der Erzählungen: Die Frauen am Fenster (Unter schwarzem Himmel).Warum mag er für Eglseder andere Namen gewählt haben: Holderbach, Schindgrebel? [...] Ich werde bald das Kapitel von Flör (Fred, Hirschkäfer) ins reine schreiben mit den mir jeweils als beste erscheinenden Fassungen, um einen besseren Überblick zu bekommen. Brittings Altersprosa ist ja von besonderem Reiz, nicht leicht zu charakterisieren.
Am 23.8.1964:
Dank für die Abschrift des »Unter schwarzem Himmel« betitelten Stückes, des, wie ich überzeugt bin, stärksten des ganzen Torso; es weist gegenüber der unter dem Titel »Die Frauen am Fenster« veröffentlichten Fassung Varianten auf. Sonderbar, daß gerade dieses großartige Kapitel im Manuskript fehlt; auch nicht ein Satz daraus ist in der Handschrift zu finden, die doch manche Stücke mehrfach bringt. Wo könnte es geblieben sein?Im ersten Teil seines Briefes war Jung bereits einmal auf Flör eingegangen:
Aber zurück zum Flörkapitel: es liegt in zwei Fassungen vor, die ich beide abgeschrieben habe und Ihnen schicke; in der kürzeren spielen die Eltern Freddys, namentlich der Vater mit seiner Käfersammlung, eine ungleich größere Rolle als in der längeren, die es fast ausschließlich mit dem Sohn zu tun hat, zuletzt noch mit dem Neger und einem neuauftretenden Manne, dem Füchslein. Ich finde die längere Fassung bedeutender als die kürzere, die wahrscheinlich noch weniger fertig ist als die erstere. Sie enthält vor allem die Schilderung des nächtlichen Heimganges, die Brittings Gestaltungskraft ungefähr auf der früheren Höhe zeigt und etwas von symbolischer Bedeutung hat, wie mir scheint. [...]
Ich habe inzwischen alle Manuskriptseiten, die sich auf Freddy Flör oder Flora beziehen, abgeschrieben, an einigen Stellen mich für eine Fassung entscheidend. [...] Wer hätte gedacht, daß ich einmal über einem epischen Manuskript von ihm sitzen und daraus abschreibend eine druckfertige Fassung herstellen würde! Gedichte, selbst unfertige, gab Britting ohne weiteres aus der Hand, wenigstens mir, aber mit der Prosa hielt er merkwürdigerweise zurück, selbst wenn ich ihn bat, mir ruhig einmal etwas Unfertiges zur Ansicht zu schicken. Das einzige, was er mir einmal schickte, war die Erzählung von der schönen Magd (die auch Wilhelm Schäfer erzählt hat, aber ungleich schwächer), allerdings dann auch in zwei Fassungen. Ob sie wohl irgendwo im Druck erschienen ist?Auf Jungs Frage, wo das Manuskript der »Frauen am Fenster« geblieben sein könnte, antwortete Georg-Britting-Stiftung Britting am 7.9. 1964:
Ich kann mir nur denken, daß er es in einer leicht verwirrten Stunde wegwarf, in dem Bewußtsein, daß davon nun schon ein Druck vorliegt; er hat viel noch weggeworfen!Länger als ein Jahr lag das Eglseder-Manuskript bei Jung, ohne daß es zu einer weiteren Erörterung der vorgesehenen Fassung gekommen wäre. Am 5.9.1965 schickte er es Georg-Britting-Stiftung Britting zurück:
Vielen Dank, daß Sie mir das unschätzbare so lange anvertraut haben; ich trenne mich ungern davon.Am 27. September begannen Friedrich Podszus und Georg-Britting-Stiftung Britting mit der endgültigen Zusammenstellung des Prosa-Bandes, der im Herbst 1966 erscheinen sollte. (Es wurde dann doch Frühjahr 1967.) An Jung hatte Georg-Britting-Stiftung Britting tags zuvor geschrieben:
Ich weiß nicht, lieber Herr Jung, ob Sie meine Bitte, das Manuskript zu bearbeiten, anders aufgefaßt hatten, als ich es meinte. Mir wäre daran gelegen gewesen, daß Sie die Übergänge festlegen von einer der Geschichten zur anderen, die im Manuskript zu erkennen sind. Britting hat die einzelnen Szenen herausgenommen, um sie an Zeitungen verkaufen zu können, und hat dadurch manchmal den Anfang geändert. Ich fände es aber richtiger, wenn wir die Erzählungen durchgehen lassen, wie es im Konzept steht. Oder halten Sie es für besser, alle Untertitel zu nennen? Für Britting waren das nur Aufhänger für die Redakteure!Bei dieser Entscheidung, die Flör-Episode wegzulassen, blieb es. Die Herausgeber erstellten nun, mit Hilfe von Martin Gregor-Dellin, damals Lektor der NymphenburgerVerlagshandlung, eine Druckvorlage. DieseVorlage hat sich nicht erhalten. Es ist auch nicht mehr genau zu rekonstruieren, wieweit das Manuskript ohne Entlehnung aus anderen Fassungen auskam. Das Egbeder-Manuskript Nr.1 der Staatsbibliothek ist, mit Ausnahme der längeren Fassung des Anfangs, weitgehend textgleich mit dem Text in Anfang und Ende, von kleinen Einschüben und Halbsätzen abgesehen, die in der Buchfassung fehlen. Nur die »Portugiesischen Zwillinge« waren in diesem Manuskript Nr.1 noch nicht ausgereift; das mag bei der nicht mehr existierenden Druckvorlage auch so gewesen sein, dann wurde zum Vergleich ein Zeitungsdruck herangezogen und für einzelne Passagen auch verwendet. Das letzte Kapitel »Unter schwarzem Himmel« entnahmen die Herausgeber dem Jahresring 1961/62.Verbindungen zu den einzelnen Teilen des Fragments mußten nicht geschaffen werden, sie ergaben sich aus Brittings Text. Die verschiedenen Namensnennungen der Hauptfigur: Schindgrebel, Holderbach, erklären sich wohl aus Brittings Taktik der Zeitungsteilveröffentlichungen.
Lediglich der »Flör« und die kleine Sache mit dem »Füchschen« müssen aus einem einem anderen, von Britting wohl vernichteten Teil dieser Erinnerungen stammen, und nach eingehendem Studium des Manuskripts - als ich es Ihnen im vorigen Sommer mitgab, hatte ich ja kaum noch hineingeschaut gehabt in den ganzen Eglseder, sondern hatte nur für den Jahresring den »Holderbach« herausgezogen - schwanke ich, ob ich den »Flör« und das »Füchschen« nicht besser weglasse, um die Qualität des Ganzen nicht herabzusetzen. Sie schrieben mir ja auch, daß Sie den »Flör« - außer dem Abschnitt in der Müllgrube - für weniger gut halten als den übrigen Teil des Fragments.
Der kleine schnellfüßige Mann mit den feurigen Augen war
der uneheliche Sohn einer Dienstmagd aus dem Bayerischen Wald. Er hatte
gestrüppige, schwarze Brauen, vortretende Backenknochen, bartlos war
er, und zierlich gewachsen - wie ein Waldreh, sagten wir und er lachte,
denn eitel war er auch, und hörte es gerne. Auf einem Einödhof,
nahe der böhmischen Grenze, hatte er das Licht der Welt erblickt.
»Das Licht ist aber ziemlich dunkel dort droben«, sprach er,
»schon mehr eine Finsternis«. Maria, Walburga, Theresia Eglseder,
seine Mutter, die bald nach seiner Geburt gestorben war, an Kindbettfieber,
hatte den Namen des Kindsvaters nicht zu nennen gewußt, oder, vielleicht,
sie hatte ihn nicht nennen wollen, aus bäuerlichem Trotz und Zartgefühl,
das traute er ihr zu, ohne Beweise zu haben für ihr stolzes Blut.
Sein Vater wohl sei ein Böhmack gewesen, vermutete er, und
deutete auf seine Backenknochen, ein Grenzgänger und Mausefallenhändler,
vielleicht ein Schmuggler, ein Pascher, ein Schwärzer, wie man sie
im Walde heißt, weil sie sich das Gesicht mit Ruß schwärzen
bei ihrem verbotenen Geschäft, oder ein herumziehender Musikant, das
am ehesten - das war ohne Wichtigkeit für ihn, er hatte seiner stolzen
Mutter gefallen, das genügte ihm.
Daß die gleich drei Vornamen gehabt habe, wie eine Reichsgräfin,
bewunderten wir sie. »So stehts in meinemTaufschein«,antwortete
er, aber sonst hatte sie wenig, die Stieftochter eines Häuslers, oder,
ohne Ziererei gesagt, nichts und gar nichts, nur ein leicht entzündliches
Herz, und war arm wie eine Kirchenmaus. Ob er denn so genau Bescheid wisse
über die näheren Umstände der Kirchenmäuse, spotteten
wir, und: »wovon leben die denn?« Er sagte: »Von Papier
und Druckerschwärze!«. In den Dorfkirchen sagte er, lägen
auf den Bänken die Gebetbücher herum, stockfleckig und moderig,
zu jedermanns freiem Gebrauch, und die seien nur dicken Balkenlettern gedruckt,
damit die alten Weiber mit ihren schwachen Augen sie auch lesen könnten,
ohne Brille, im dämmrigen Gotteshaus. »Das ist dir aber sparsame
Speise«, sagte Egidi, »und an den Brokatgewändern und
Purpurfahnen der Sakristei zu knabbern, das gibt auch nicht viel her, nicht
einmal für einen Mausemagen!«. Und er schielte, wie nur er es
konnte: das eine Auge blieb in der Ruhestellung, das andere verdrehte er
so, daß nur noch das Weiße zu sehen war, das machte einen entsetzlichen
Eindruck, teufelsfratzig. Wenn er, zum Spaß, manchmal ein Kind so
anschielte, wich das verängstigt zurück. Nur einmal sagte eins
unerschrocken zu ihm: »Lern mir das auch, Mann!«
»Ich«, sprach Eglseder, »muß mich mit
einem Vornamen durchs Leben schlagen. Auf den Namen Georg einzig und allein
bin ich getauft. Das war noch barmherzig von dem Waldpfarrer, so Wildwuchs
sonst kriegt den Namen des Heiligen, der an seinem Geburtstag im Kalender
steht, und sei der noch so außer Brauch gekommen und schmähfg
vernachläßigt wie Cosmas etwa oder Polykarp, und da ist der
Kenner dann gleich im Bilde und weiß um den Sachverhalt.
Von der Donau herauf hörten wir das kratzende Geräusch
der treibenden Eis-Schollen, die sich drängten und schoben, vorm steinernen
Pfeiler kurz verharrend und sich drehten, und strudelnd dann unter der
Brücke dunkelrauschend verschwanden. Einsam kam manche kleine Eis-Insel
daher geschwommen, wurde gegen eine größere gestoßen,
vereinigte sich knirschend und brausend mit ihr. Oft auch brach eine Scholle
plötzlich auseinander, und durch den Spalt gurgelte das grüne
Wasser empor. So war das seit Tagen schon unter einem hellblauen Vorfriühlingshimmel.
Eglseder, die Frucht der Sünde, mit des Drachentöters
Namen getauft, neben uns jetzt eben im wärmenden Flauschmantel, Eglseder,
wir wußten es, war, wir vernahmen es nicht zum erstenmale, im Waisenhaus
aufgezogen worden, fromm und fröst.
Typoskript zu Fragment Eglseder
Im April 1963, ein Jahr vor seinem Tod, hatte Britting versucht, das
Anfangskapitel nochmals zu bearbeiten, um es, wie vereinbart, dem Jahresring
zur Veröffentlichung zu geben. Dabei tauschte er im Manuskript den
Namen Eglseder in Holderbach um. Er arbeitete über drei Wochen mühsam
und mit Pausen an dem Text, dann resignierte er, war zutiefst unzufrieden,
nahm seine Zusage an den Herausgeber Hans Bender zurück. Es ist seine
letzte Arbeit geblieben.
Das Holderbach-Kapitel erschien postum im Jahresring 1964/65,
herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung Britting.
S. 323 Eglseder
Auszüge und Teilabdrucke aus dem Textkomplex u. a. in:
Süddeutsche Zeitung, Nr. 257, 29.10.1955, u. d. T. Portugiesische
Zwillinge.
Süddeutsche Zeitung, Nr. 138, 9.6.1956, u. d. T .Von Egidis Braut
und sei-
nem Mütterchen (mit kleinen Änderungen).
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.7.1956, u. d. T: Juli-Abenteuer
(Erstfassung der »Frauen am Fenster«; dieser Text
wirkt gegenüber der
endgültigen Fassung noch wie ein Entwurf).
Süddeutsche Zeitung, Nr. 216, 8.9.1956, u. d. T Vollmondballade
....(kleine Änderungen und Kürzungen).
Süddeutsche Zeitung, Nr. 212, 3.9.196o, u. d. T. Die Frauen am
Fenster (erster Abschnitt ....wesentlich kürzer,
der Text aber der endgültigen Fassung angenähert).
Christ und Welt, Nr. 23, 2.6.196o, u. d. T. Die gläserne
Traube
....(mit geringen Kürzungen).
Die Zeit, Nr. 47, 18.11.1960, u. d. T. Doktor Egidi, der Metzger,
und sein Mütterchen.
Stuttgarter Zeitung, Nr. 41, 18.2.1961, u.d.T Der Schlangenstrick (leicht
gekürzt).
Jahresring 61/62, S. 189-193, u. d. T. Unter schwarzem Himmel.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.11.1962,
....u.d.T. Der Herr aus der Donautiefe
(geringe Änderungen).
Jahresring 1964/65, S. 86-87,Teilabdruck, u. d. T. Holderbach
....(Holderbachs italienische Erlebnisse
gekürzt).
In seiner Besprechung des Bandes Anfang und Ende im Rheinischen
Merkur
vom 29.9.1967 ging Curt Hohoff auf die zum Teil noch nicht bekannten
Erzählungen ein: [...]
Hier findet man die großartige Geschichte der Münchner Pferdemetzgermeistersgattin Frau Holderlein, mit wildem Humor und kunstvoller Aussparung der Hauptsachen hinter den Nebensachen. [...] und schließlich das vierzigseitige Fragment einer Erzählung vor dem ersten Weltkrieg, »Eglseder«.Zu den zahlreichen Nachrufen auf Britting, die Ende April 1964 in den Tageszeitungen zu lesen waren, gehörte der Nachruf von g.r. (d. i. Günther Rühle) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29.4.1964 - und es soll dieser eine für alle stehen.
Sie ist der letzte Versuch Brittüngs zu einer großen epischen Form, vielleicht zu einem Roman, der dann nicht fertiggeworden ist. Eglseder kommt aus dem anonymen Volk, wird Schneider, erwandert die Lande und ist zur Zeit der Erzählung Redakteur, ein Selfmademan wie er im Buche steht, und zugleich einer, der gegen die beginnende Egalisierung ist. Das gilt auch für den anderen Helden, einen Nationalökonomen, der die väterliche Metzgerei übernimmt, und für das Ich, hinter dem sich der Autor teils verbirgt, teils offenbart. So entsteht eine Erzählweise, bei der die Brechung der Strahlen zum Prinzip wird, die Kunstgestalt einer Prosa in der Mitte zwischen dem derb-Sinnlichen und Raffinierten.
[...] Britting hatte Geschmack am »Leben« in seinen scheinbar naiven, drastischen und dem Helden verborgen bleibenden Formen des Derben, Prosaischen und Poetischen. Sie kommen bei ihm zur Deckung. [...] So steckt im »Eglseder« der Ansatz zu einem Schelmenroman und in den Erzählungen eine Autobiographie. Dichtung rechtfertigt sich durch die Sprache, welche in ihr gesprochen wird. Sie existiert durch diese Sprache. Britting ist einer der wenigen Autoren mit einer eigenen.
Die Meldung, die gestern mittag vom Tod Georg Brittings Nachricht gab,
nennt ihn einen »bayerischen Lyriker und Erzähler«. Freilich,
ein Bayer war er: gebürtig aus Regensburg, aufgewachsen an der Donau
und beinahe in frühen Jahren darin ertrunken. Er kannte ihre Ufer,
er kannte die Gewässer der Hechte, den Wald, die Wiesen, mit den Käfern
und Blumen, wir finden das alles wieder in seinen Gedichten und seinen
Erzählungen. Er war auch beharrlich wie ein Bayer: Er gehörte
zur Landeshauptstadt, wenngleich mancher seiner Leser versucht hat, ihn
im Westfälischen heimisch zu machen. Allein diese Versuchung zeigt,
daß er mehr war und wurde als ein bayerischer Dichter, obwohl er
in Bayern gelernt hat, Landschaften mit Worten einzufangen. Britting ist
im letzten Jahrzehnt mit jedem Tag mehr in unsere Gedanken eingedrungen,
zunächst vielleicht deswegen, weil er sich dem literarischen Getümmel
entzog, daß er sich selber der Zeit, in der er noch lebte, zu entrücken
schien. Er drängte nicht in die Öffentlichkeit; als auf der Buchmesse
eine sechsbändige Ausgabe seiner Schriften angekündigt wurde,
sah man, daß man den Umfang seines Werks unterschätzt hatte.
Er war zeitlos in einem Sinne, der den Hinweis auf inneren Reichtum enthält.
»Als Erzähler wie als Lyriker entschädigt Britting für
seine Art von Zeitferne durch eine unerhört neuartige Weltnähe«,
hat Hans Hennecke einmal in dieser Zeitung (aus Anlaß von Brittings
70. Geburtstag) notiert. Britting fand immer neue Motive des Unaufhörlichen
im Leben der Welt und ihrer Geschöpfe. »Weißt du es nicht,
kein Bild ist Betrug« heißt es in einem seiner Gedichte. Bilder,
Sprachbilder und Rhythmen waren seine eigensten Kunstmittel, in Rhythmus
und Metapher haben ihn nur wenige erreicht. Brittings Kunst, Natur zu sehen
und dichterisch zu beschreiben, fiihrt ihn für uns, die wir auch als
Leser so gern »gruppieren« neben Loerke und Wilhelm Lehmann.
Er gehörte wie sie zu den wenigen Begabten, die in der Schöpfung
wohnten und darum zum Dichter wurden, um ihre Schönheit - und dazu
gehören ihre Dunkelheiten - um ihre Kräfte und Gestalten in die
Sprache hineinzulenken und die Sprache selber wieder mit der Natur in Verbindung
zu bringen.
Schwarze Purpurtraube
Du blutest am Spaliere, glutzerrissen.
Vor Liebesbissen
schnalzt die Nachbarlaube.
heißt es in einem seiner Gedichte. Versen wie diesen wohnt ein
magisches Sehen inne, das alles, was wächst und vergeht, mit seinen
Trieben und Begierden wahrnimmt. Aber Britting hat sich nie aus romantischer
Neigung in die Natur verloren. Sein Sinn für ihre Grotesken, seine
Distanz bleibt wahrnehmbar. Ironische Zeilen deuten an, daß er in
der Natur, deren Lob ihm am Herzen lag, doch auch eine »schillernde
Unzulänglichkeit« verspürte. Die Verskunst Brittings hat
- wie Clemens Heselhaus einmal formulierte - immer mehr vergessen lassen,
daß er einst mit seinen Stücken Mann im Mond und Storchennest
versuchte,
auf den Spuren der expressionistischen Dramatiker in die Literatur einzudringen.
Daß er für seinen einzigen Roman, für den Lebenslauf
eines dicken Mannes, der Hamlet hieß, sich eine Gestalt des Theaters
nahm, deutet diese Herkunft noch an. Aber in diesem Roman wird der dramatische
Zusammenstoß abgelenkt ins Unendliche. Die Perspektiven vervielfachen
sich, werden gleich gültig, es gibt keine Gegenfiguren mehr. Das,
was aus dieser Veränderung und Auflösung der Hamletwelt sich
als erzählbarer Stoff ergab, ist in einer unerhört reizvollen
Prosa gefaßt, die immer wieder der Versuchung ausgesetzt war, sich
in einen Vers zu verwandeln. - Britting war vierzig Jahre alt, als sein
erster Band Gedichte erschien. Mit den Titeln der folgenden Bände
Rabe,
Roß und Hahn, Der irdische Tag, Lob des Weines, Begegnung und
Unter
hohen Bäumen hat er ausdrücklich benannt, was ihm Anlaß
zum Dichten war. Die Welt, die uns umgibt. Seine Verse und Erzählungen
sind Hinweise darauf, wie wenig wir von ihr wahrnehmen.
Günther Rühle