ZU DIESER AUSGABE.........................................
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Die vorliegende Edition sämtlicher Werke Georg Brittings
ist als eine Studienausgabe angelegt: Sie umfaßt alle Teile des Gesamtwerkes
und gibt überdies einen Überblick über die werkgeschichtlich
wichtigen Dokumente. Dazu zählen auch solche Illustrationen, die von
Künstlem wie Josef Achmann, Hans Lasser, Otto Nückel und Max
Unold eigens für die Werke B.s geschaffen wurden und die oft so eng
in die Entstehung jener Texte verflochten sind, daß sie eine-zeittypische-Schaffensgemeinschaft
des Dichters mit dem bildenden Künstler bezeugen können. Im Anhang
werden Entstehung und Wirkung der Werke jeweils dokumentiert und um einen
werkbiographischen Überblick ergänzt; die wenigen notwendigen
Sacherläuterungen werden in Anmerkungen geboten, die auch die seltenen
Quellen verzeichnen.
Tatsächlich entzieht sich B.s Werk weitgehend dem philologischen
Quellennachweis; auch fehlen - trotz der größtenteils erhaltenen
Bibliothek - genaue Lektürenachweise, eigene werkbezogene Vergleiche
mit anderen Autoren und sogar Selbstdeutungen fast völlig. Noch am
11.Februar 1961 schrieb B. an Hans Bender: )Ich würde Ihnen ja gerne
etwas Poetologisches zu meiner Lyrik schreiben, wenn ich das nur könnte.
Ich kanns und kanns nicht [...]a. (Briefe an Hans Bender, hg.v. Volker
Neuhaus, München: Hanser / Köln: Kulturkreis im Bundesverband
der Deutschen Industrie 1984, S.55) Der Verzicht auf Quellenmontage, die
Wendung zum ursprünglichen ›Bild‹ und zu einer betont nicht-)literarischem
Bildsprache gehören zum Antihistorismus von B.s Generation, die sich
bereits gegen die artistischen Verfahren der ›Moderne‹ seit igoo wendet:
Nicht die positivistische Entschlüsselung, sondern die hermeneutische
Deutung öffnet daher den Zugang zu B.s Werk. Entsprechend knapp nur
konnte der Stellenkommentar unserer Ausgabe, der solche Aufgaben an das
Nachwort im Schlußband verweisen muß, ausfallen. Notwendig
war es jedoch, eine Vielzahl verstreuter, sonst nur schwer zugänglicher
Informationen über B. und sein Werk jeweils schon im Anhang der einzelnen
Bände zusammenzufassen.
Unsere Ausgabe konzentriert sich jedoch auf die Textgeschichte. Den
in die Sammlungen aufgenommenen Textfassungen, nach denen B. beurteilt
sein wollte, werden gewöhnlich im Anhang die Varianten der übrigen
zugeordnet. Um die Entwicklung der einzelnen Texte und die Entfaltung des
Gesamtwerkes zuverlässig nachzuzeichnen, löst sich unsere Edition
prinzipiell von der Gliederung und den Textfassungen der Ausgabe letzter
Hand, die B. seit 1957 besorgt hatte. Vielmehr wurde ein chronologisches
Ordnungsprinzip gewählt und die Texte demnach getreu nach den Erstdrucken
in Zeitungen und Zeitschriften oder aber nach der Fassung einer
von B. selbst besorgten Sammlung geboten. Gelegentlich wurde dabei
entschieden, abweichende Fassungen nicht zu Varianten aufgelöst im
Anhang zu einer Leitform des Textes zu präsentieren, sondern sie vielmehr
gemäß ihrer Eigenart und ihrer symptomatischen Bedeutung für
einen Werkabschnitt im Textteil an ihrem chronologischen Ort einzurücken;
die Anmerkungen informieren über solche Paralleldrucke.
Nur behutsam wurde die Orthographie normalisiert; bestehen blieb etwa
B.s eigenwillige Kleinschreibung von Farbadjektiven, wie sie in den Bildbeschreibungen
immer wieder auftritt, und seine dem Sprachrhythmus angepaßte Zeichensetzung;
nicht verändert wurden weiter die Apostrophierungen, ebensowenig die
Getrennt- und Zusammenschreibung. Die seltenen Eingriffe der Herausgeber
sind im Text durch [] kenntlich gemacht; nur offenkundige Druckfehler wurden
stillschweigend korrigiert. Generell wurden bei der Redaktion Qualität
und Stellenwert des jeweiligen Textes berücksichtigt, und Arbeiten
für die Tagespresse wurden, da ihre Textgestalt oft genug nur passiv
autorisiert ist, eher der orthographischen Norm angenähert als Zeitschriften-
oder gar Buchdrucke; doch sind erkennbare Eigentümlichkeiten B.s in
jedem Fall berücksichtigt und bewahrt. Von den frühen Arbeiten
für Regensburger Zeitungen kann der erste Band ohnehin nur eine Auswahl
präsentieren, und auch diese Texte mußten gelegentlich noch
um Passagen gekürzt werden, die nur der journalistischen Forderung
des Tages gehorchten - also etwa die stereotypen Kurzcharakteristiken der
Leistung Regensburger Schauspieler um 1920. Auch wurde in diesem ersten
Band die strenge chronologische Folge der Drucke gelegentlich nicht beachtet,
wenn sich inhaltliche Gruppierungen anboten, die auch auf einen Entstehungszusammenhang
schließen ließen.
Freilich wirft die chronologische Ordnung, wie deutlich sie auch die
Werkphasen und das Werden des Autors offenlegen mag, doch beträchtliche
editorische Probleme auf. Es zeigte sich bald, daß ein Großteil
der Erzählungen und Gedichte B.s schon bis zum Jahr 1930 vorlag, während
erst ab diesem Jahr die wichtigen und wohlkomponierten Sammlungen erschienen,
die keineswegs zerstört werden durften; denn sie machten ihn dem Publikum
bekannt und übertrafen auch für B. etwa die früheren Zeitungsdrucke
bei weitem an Wert. So betrachtete B. sein Werk auf jeder Lebensstufe als
verfügbar, stellte Altes neben Neues, aktualisierte und veränderte
die älteren Texte, arbeitete sie immer wieder um; die zeitliche Folge,
die Werkgeschichte ist restlos aufgehoben in der jeweiligen Gegenwart des
Ausdruckswillens. »Ich habe oft ein Gedicht aus 1920 z.B. jahrelang,
jahrzehntelang in der Mappe liegen gehabt, kramte es hervor, fing neu daran
zu arbeiten an, oft auch ein drittes- und viertesmal.« (An Bode,
20.6.1958)
Weil unsere Ausgabe die Sammlungen respektiert, muß in ihren
früheren Bänden auf die folgenden, in denen eben jene später
komponierten Sammlungen enthalten sind, nachdrücklich verwiesen werden;
erst damit ist für jede Werkphase der Bestand sowohl an eben geschriebenen
als auch an wiederum überarbeiteten und veröffentlichten Texten
überschaubar. Allerdings können wegen B.s eigentümlicher
Arbeitsweise die verschiedenen Fassungen, die seine Texte durchlaufen,
nicht detailliert vorgestellt werden.
Zwar liegen, da ihn seine Kriegsverletzung beim Schreiben behinderte,
kaum Entwurfshandschriften vor. Die erhaltenen Autographen entstanden meist
nachträglich, eigens für Verehrer und Sammler. Doch auch Typoskripte
fehlen fast völlig.
»Eine erste Niederschrift«, so erläutert ein Brief
B.s an Georg Jung vom 2.April 1948,
sieht bei mir, meistens, so aus: Ich schreibe z.B. die erste Strophe
eines Gedichts mit der Maschine, setze die zweite handschriftlich dazu,
korrigiere bleistiftlich in die erste Maschinenstrophe hinein, schreibe
die dritte wieder maschinlich, korrigiere an den drei Strophen herum, mal
mehr, mal weniger, und wenn das Dreistrophengedicht nun recht wie ein Rübenacker
aussieht, nehm ich ein neues Blatt, schreib die drei Strophen wieder neu
mit der Maschine, und das erste Blatt fliegt in den Papierkorb. Nun, je
nachdem mein Genius blitzt, wird auch die zweite Maschinenabschrift wieder
in einen Rübenacker verwandelt. Und der Rübenacker fliegt, nachdem
säuberlich eine neue Maschinenabschrift hergestellt ist, wieder in
den Papierkorb. Manchmal gehts auch einfacher, wenn etwas schnell richtig
sitzt. So besitz ich eigentlich keine erste Niederschrift.
Dennoch war ihm »das Fassungen-Elend«, das den Philologen
erwarte, wohl vertraut (an Bode, 1959) Was B. nämlich von einer seiner
Erzählungen-Der Gang durch das Gewitter/Sarganekdote (Bd.III,2)-Sagt,
gilt für fast alle seine Werke, ob Prosa oder Gedicht: Sie sei »schon
oft gedruckt gewesen, in leise wechselnden Fassungen, ich muß sie
einmal ganz festigen« (an Jung, 6.6.1952). Der Druck bedeutet für
ihn keine entschiedene Fixierung - vielmehr setzt sich jener geschilderte
Oberarbeitungsvorgang fast unverändert fort; der Zeitungsdruck ist
gleichsam für B. nur ein Ersatz für das Typoskript. Wenn Ernst
Wiechert in seiner Rede auf B. 1933 behauptete, dieser sei »auf das
sorgfältigste bedacht [...], in die Ewigkeit des Druckes nur hinausgehen
zu lassen, was vor seinem eigenen Gewissen sich auf eine wenn auch noch
so bescheidene Art mit diesem Begriff der Ewigkeit zusammenstellen läßt«
(Sämtliche Werke, München: Desch 1957, Bd. 1o, S.864) - so profilierte
er zwar deutlich das Bild des ›Dichters‹ B., verfehlte aber den Alltag
und die Praxis des ›Schriftstellers‹, der nur
von seinen Honoraren leben wollte und mußte. Denn zu lukrativen
Auftragsarbeiten, Essays, Rundfunkfeuilletons u.ä. mochte sich B.
seit Ende der zwanziger Jahre trotz der geringen Einkünfte aus seinem
dichterischen Schaffen kaum noch verstehen (vgl. Armin Mohler, in: Almanach,
S.18). Daher wuchs die Zahl vor allem der Zeitungsdrucke seiner Werke -
ganz der Absicht B.s gemäß - ins Unüberschaubare:
Inzwischen bombardier ich alle mir erreichbaren Zeitschriften mit Poemen
und die sind z.T. dumm genug, darauf herein zu fallen. [...] Anders kann
mans nicht machen. Ich rate Ihnen es nach zu machen,
- schrieb er, versiert genug, am 12.Dezember 1917 an den literarischen
Debütanten Hermann Sendelbach. Vermutlich am 1.Oktober 1926 legte
B. für diese Angebote ein Nachweisbuch an (vgl. Kat., S.22), das in
seinem Nachlaß erhalten blieb: Unter den - grob alphabetisch geordneten
- Zeitungs- und Zeitschriftentiteln wurden jeweils mit einem Stichwort
die angebotenen Texte notiert; sofern der Text erschien, melden dies die
Siglen »A« (angenommen), »E« (erschienen), »H«
(honoriert); andernfalls wird das Stichwort gestrichen. Datierungen fehlen
in diesem ›Rechnungsbuch‹ völlig; auch sind die Drucke nicht ganz
vollzählig nachgewiesen.
Dennoch lassen sich Anhaltspunkte für die Datierung aus der Druckgeschichte
gewinnen: B. ließ gewöhnlich nicht viel Zeit zwischen dem Abschluß
einer Arbeit und dem ersten Angebot für die Veröffentlichung
verstreichen, und oft genug glückte es ihm tatsächlich mehrere,
zeitlich eng benachbarte Drucke zu plazieren. Problematisch wird damit
der Begriff des ›Erstdrucks<, da jedenfalls das genaue Erscheinungsdatum
eines Textes dem Willen des Autors entzogen war. Doch werden in den jeweiligen
Anmerkungen möglichst frühe Drucke genannt und gegebenenfalls
um Nachweise solcher Veröffentlichungen ergänzt, die-wiewohl
etwas später erschienen - doch die Kontinuität einer literarischen
Zusammenarbeit, wie sie B. immer wieder mit großen Zeitungen oder
auch mit Zeitschriften verband, belegen. Ähnlich mußte bei dem
Versuch vorgegangen werden, aus den »leise wechselnden Fassungen«
die entscheidenden Stufen hervorzuheben.
Vor allem Texte von geringerem literarischen Anspruch, die in den Sammlungen
und in der Ausgabe letzter Hand dann auch nicht auftauchen, wurden durch
die Jahre hin immer wieder angeboten und gedruckt, aber nie mehr durchgreifend
überarbeitet:
Ja, der alte Geheimrat Zet, vor 25 Jahren schrieb ich ihn, seitdem
ist er wohl an die 8o bis hundertmal gedruckt worden, unter den verschiedensten
Überschriften, zum erstenmal in der Frankfurter Zeitung. Solcher kleiner
»Schlager« hab ich noch mehr, das Bosn.(ische] Mahl gehört
dazu, die immer wieder an den Mann zu bringen sind. Sie bringen mir jedes
Jahr ein paar tausend Mark ein. Sie gehören zur finanziellen
Grundlage meiner Existenz, und haben mir schon mehr Geld verschafft,
als meine sämtlichen Bücher zusammen. Ich sagte Ihnen schon,
daß ich mich bemühe, diese kleinen Betrachtungen und Anekdoten
auf einem Niveau zu halten, dessen ich mich nicht zu schämen brauche.
Mehr Bedeutung haben sie nicht.
(An Jung, 13.11.1950)
Wie aber prinzipiell Mehrfachdrucke bei derselben Zeitung zu erreichen
seien, vertraute B. noch 1953 (am Aschermittwoch) Hermann Seyboth an: »ein
neuer Titel, ein bißchen verändert, und es ist so gut wie ein
Original«. So ergänzen sich B.s dichterische Veränderungssucht
und die ökonomischen Bedingungen des Schriftstellerdaseins, und es
kommt zu einer Fülle von Änderungen im Detail in fast allen seiner
Texte. Davon sind jedoch die grundlegenden Neufassungen zu unterscheiden,
die meist in einer der Sammlungen oder doch in einer renommierten literarischen
Zeitschrift veröffentlicht wurden. Diese werden in unserer Ausgabe
sämtlich dokumentiert, jene aber nur in exemplarischer Auswahl, so
wenn ein später populärer Titel nicht schon im Erstdruck auftaucht,
wenn geographische Konkretisierungen vorgenommen oder gar ausgetauscht
werden u.ä.m. Dabei mußte überdies beachtet werden, daß
auch die Redakteure, wie B. in dem zitierten Brief an Jung fortfährt,
»es nicht lassen« konnten und bei jedem Abdruck »ein
bißchen drin herumkorrigiert« hatten. Da auch deshalb eine
detaillierte Darbietung von Varianten weit über den gesteckten Rahmen
hinausgegangen wäre, begnügt sich unser Kommentar oft mit dem
pauschalen Hinweis, daß eine Überarbeitung stattgefunden hat.
Alle Unterlagen für unsere Ausgabe - Handschriften, Drucke, Briefe
und Materialien - sind jedoch in dem »Georg Britting-Archiv«
einzusehen, das nach Abschluß der Edition in der Bayerischen Staatsbibliothek
verwahrt wird.