Georg Britting
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Kain / Cain 
                      Aus: Georg Britting, Sämtliche Werke, Band 1 - Frühe Werke - 
                          "Der verlachte Hiob".  Seite 112 - List Verlag München


zum Band 1
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zur
Englischen Übersetzung
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Kain

Als Abel, der sanfte, süße, blonde und weißhäutige Abel ihn anschmachtete mit triefender Güte in den leicht vorquellenden Augen, als er ihm die kleinen, gepolsterten Hände entgegenhob und brüderliche Wange an seiner Schulter reiben wollte, wie er es immer tat, die rosige Wange, die sich anfühlte wie die dunstige Schnauze eines Kätzchens: ihn überschwemmte Haß von tausend Knabentagen, Widerwille von hundert gemeinsamen Mahlzeiten und er schlug zu, er schlug gut zu, mit dem Ast, den er sich gebrochen hatte ihn zum Bogen zu spannen - und sah gelassen wie die hellblauen Kälbchenaugen verglasten. Schon brauste der Himmel schwarz. Wolken zerfielen zu Schluchten und ein grüner Mond erklirrte. Kain peitschte sich vorwärts. Er wölbte die Brust und hetzte in Sprüngen zum Wald. Der Blitz, den ihm der Herr nachwarf, streifte seine Ferse. Er sprang wie ein Hirsch durch das Gestrüpp, vergrub sich in eine Höhle, hungerte Tage. Er erwürgte Abel durch viele Träume. Und dehnte die breiten Schultern, befreit, wenn er mit den Füßen nach der Leiche stieß. Nie hatte ihm Abel unrecht getan. Er haßte ihn. Er zitterte, wenn Abel ein gutes Wort zu ihm sprach. Empörte sich, wenn der Bruder ihm liebes erweisen wollte. Roch ihn wie Schleim, wenn er neben ihm schlief. Er spürte Feindschaft, wo das Blut versöhnt klopfen sollte. Er erschlug ihn tausendmal im Spiel, in schlafgemiedenen Nächten hinter halbgeschlossenen Augen. Er stürmte mit beiden Fäusten gegen ihn und flatterte ins Leere. Finger faßten nicht Fleisch, erstickten im zähnachgiebigen Saft. Seine Mannheit pantschte gegen Schlamm. Kantige Stirn donnerte nicht gegen gleiche Wölbung. Süße Mundwinkel reizten ihn. Er erschlug ihn, den Gott liebte. Er haßte Gott. Gott, der den wirbelnden Rauch von Abels Opfer gerne roch. Er traf Abel und hoffte Gott zu treffen. Ihn, der das Bürschchen, das Jüngferlein Abel zum Bild sich geschaffen. Zum Gleichnis. Zum Freund. Zum Bruder. Zum Sohn. Zu seinem weißumhäuteten Selbst. So erschlug Kain den Abel, im Aufruhr des ewig Andern, in riesiger Flamme zerbrannt.
Kain blieb im Wald wohnen. Er schnitzte sich Pfeile aus dem harten Holz der Eschen. Er jagte den Hirsch, fing die Fische mit der Hand und nahm die Eier aus den schwanken Nestern. Er trug in die Höhle Moos und dürres Laub, darauf zu schlafen. In einer schwülen Nacht stieg er über das Gebirge und stahl im fremden Tal ein Kind. Das Mädchen wuchs auf ohne Erinnerung an Menschen, von denen es stammte. Sie briet Kain die Vögel, bereitete sein Lager und schlief bei ihm. Wenn er die hohen Brauen runzelte, duckte sie ergebene Schultern. Sie wusch ihm die Füße und ertrank im Meer seiner Augen. Er lehrte sie, ihm Opfer zu bringen, Tiere und seltene Früchte. Wenn ihn der Opferrauch umwirbelte, schlug sie die Stirn auf die Hände und betete zu ihm. Er nahm seine Rache an Gott. In ihrem Herzen ermordete er ihn, zerstampfte er ihn, rottete er ihn aus und setzte sich an seine Stelle. Sie gebar ihm Söhne und Töchter. Sie sprachen seinen Namen wie den Gottes aus. Sie jauchzten, wenn der Blitz des Himmels grün über die Wipfel fuhr und lachten, wenn schwarzer Donner über dem Walde polterte. Aber der Blitz aus Kains Augen drückte sie auf die Kniee und der Donner seiner Stimme machte sie erbeben.
Als er sich alt fühlte und bereit zu sterben, rief er sie alle in die Höhle. Vor den Eingang rollte er mit letzter Kraft einen großen Stein. Sie zündeten ihm Opferfeuer und lagen um ihn in Gebeten. Sie erstickten im weißen Dampf. Als er Starre in den zu ihm erhobenen Blicken sah, lief ein ungeheures Zucken durch seinen Körper. Er brach tot zusammen und verlöschte mit dem Gesicht die schmale Flamme, die noch für ihn leuchtete.