Anhang – Band 2 S.278
Werkgeschichte und Biographie


5.. ›Dichtung‹ und Politik

Über B.s Selbstbild als ›Dichter‹, der sich nicht wie der ›Schriftsteller‹ dem Dienst am Tagesinteresse verschreibt (vgl. Bd. 1, S. 614), gibt in diesen Jahren der Bericht über ein Interview Auskunft, der im Umfeld von B.s Münchner Lesung 1937 erschien; obgleich in Niveau und Diktion dieser Positionsbestimmung die Authentizität zweifelhaft sein muß, entspricht doch der Gehalt den raren und verstreuten sonstigen Aussagen B.s:

»Staub wird Glanz«
Gespräch mit dem Dichter Georg Britting
Von Hans Kofer
Der Münchener Dichter Georg Britting liest heute, Mittwoch, 20.15 Uhr, in der Großen Aula der Universität, im Rahmen eines Dichterabends der Gaustudentenführung München-Oberbayern der NSDAP »Was ich in der nächsten Zeit schreiben werde? Was ich vorhabe? Ich glaube, Sie würden ein ganz falsches Bild von meinem Schaffen gewinnen, wenn ich Ihnen verschiedene Pläne aufzählen würde, die noch unklar in mir aufschweben. Wohl trage ich solche ständig mit mir herum.
Ein neuer Roman steht in Umrissen vor mir; ich höre dieses und jenes Lied im Innern, dem ich vielleicht nachgehen werde - vielleicht. Aber es war niemals in meinem Schaffen so, daß ich sagte, ich werde mich jetzt an diesen Stoff heranmachen, weil er mir zu liegen scheint oder man überhaupt etwas daraus machen könnte. Manches ist mir schon vorgeschwebt, aber die Umrisse erstarrten wieder, sie standen noch eine Zeitlang wie Skelette in der Erinnerung, keine glückliche Stunde kam, die ihnen Leben eingehaucht hätte, und sie verblaßten und versanken wieder, wie sie aufgetaucht waren. Die Ideen anderer Werke, von denen ich heute noch nicht glaubte, daß ich sie jemals schreiben würde, kamen schon morgen über mich, und die Dichtung strömte in einer Überfülle, daß die Seele vor Lust und Überraschungen tanzte. Ich lasse wachsen, was wächst, und fallen, was wieder fällt. Es sind keine Vorsätze, die mich leiten, mein Schaffen ist nur die beseligende Hingabe an die Gnade der Stunde, wenn diese über mich kommt. « Das war die Antwort Georg Brittings auf meine Frage, welche Pläne er zur Zeit in sich trage, eine Antwort, die den Zuhörer beglücken mußte, denn sie war ihm eine Bestätigung seiner Eindrücke aus den Werken des Dichters, daß dieser, von keinem falschen Ehrgeiz getrieben, nur der reinen Stimme des Dichtertums in sich Gehör schenkt. »Dennoch kann ich nicht glauben, daß Sie sich lediglich der Inspiration hingeben«, sagte ich. »Ihre Werke machen mir zu sehr den Eindruck einer sehr guten Selbstkritik. Ich denke dabei an ein Wort Nietzsches: Auch das Genie schafft ständig neben Genialem Mittelmäßiges und
sogar ganz Schlechtes nebeneinander, und es kommt nur darauf an, daß es selbst bereits scharf zu scheiden weiß, um der Mitwelt nur das Höchste des Menschengeistes zu bieten. « »Dieses Ringen bleibt allerdings keinem Dichter erspart, auch wenn er sich nur seinen besten Stunden hingibt. Da muß ich Ihnen eine Anekdote über Hermann Hesse erzählen. Er trifft mittags mit einem Bankdirektor zusammen, und der fragt ihn: ›Nun, Herr Hesse, haben Sie heute vormittag tüchtig geschafft?‹ ›Jawohl‹, sagte der Dichter, ich habe einen Satz geschrieben.‹ Am Abend fragte der Bankdirektor wieder: ›Nun, haben Sie heute nachmittag mehr getan‹ ›Jawohl‹, erwiderte Hesse, ›ich habe den Satz wieder durchgestrichen.‹ Das ist in etwas übertriebener Form die Darstellung eines Vorganges, den der Außenstehende dichterisches Ringen nennt, ohne sich dabei etwas vorzustellen. Jeder Dichter hat in sich das Bild von der letzten Höhe der Dichtung, zu der er fähig ist, und er vernichtet - wo er es ganz ernst mit der Kunst meint - alles wieder, was nicht bis dort hinauf reicht. Je reifer er ist, desto höher wird das Ziel und desto schwerer das Ringen. Wer so nur der Kunst lebt, muß sich oft fragen lassen, warum er denn nicht schon mehr geschrieben hat, was doch andere auch fertiggebracht haben. Auch ich bin schon so gefragt worden. Von meinem Geburtsjahr 1891 (Britting wurde am 17. Februar 1891 in Regensburg auf einer Donauinsel als Sohn eines städtischen Beamten geboren) bis auf den heutigen Tag sind schon über 46 Jahre vergangen, davon entfallen etwa 16 Jahre auf literarisches Schaffen. Seit 1920 lebe ich in München als freier Schriftsteller. Aber ich habe in dieser Zeit verhältnismäßig wenig Bücher auf den Markt gebracht, obwohl ich freier Schriftsteller bin und meine Zeit ganz für mich habe. Die harte Auslese dessen, was ich schreibe, begann ich schon von allem Anfang. Nicht nur, daß ich mich allein den wirklich schöpferischen Stunden hingab, ich habe mich auch nicht gescheut, sehr viel zu verbrennen, was man im Anfang nicht gerne tut. Vor allem eine Reihe dramatischer Werke habe ich gleich wieder verworfen, bevor ich sie überhaupt einschickte. Nur einige Komödien kamen zur Aufführung. »Die Stubenfliege« wurde am Münchener, das Schauspiel »Paul und Bianca« am Dresdener Staatstheater zur Aufführung gebracht, und dann verbrannte ich wieder viel. Eine Auslese von Gedichten und Erzählungen ist mir geblieben. Hauptsächlich Gedichte schreibe ich in letzter Zeit sehr viel (Der Literaturpreis der Hauptstadt der Bewegung wurde Britting im Jahre 1935 hauptsächlich wegen seiner lyrischen Leistungen verliehen) –  wenn ich aber >sehr viel Gedichte‹ sage, so möchte ich nicht mißverstanden sein. Etwa alle vierzehn Tage oder drei Wochen schreibe ich eines. Nach dem, was ich Ihnen anfangs über mein Schaffen sagte, kann ich Ihnen den Titel eines Romans verraten, an dem
ich arbeite. Er heißt ›Der brauende Nebel‹. Vorläufig ist er mir noch zu sehr ein wirklich brauender Nebel. Ich weiß nicht, welche Gestalt sich aus dem Chaos noch gebären wird. «
Wer wie Britting in jedem Werk um die letzte dichterische Höhe ringt, von dem dürfen wir einen Roman erwarten, über den das gleiche gelten wird, was der Präsident der Reichsschrifttumskammer, Hanns Johst, von Brittings Roman »Lebenslauf eine dicken Mannes, der Hamlet hieß«, schrieb: »Staub wird Glanz; und Bericht wird Märchen. « (DLA, Zeitungsausschnitt-Sammlung)
Der Text belegt auch jene »Sicherung der Macht durch Duldung einer politikfreien Sphäre« (Schäfer, S. 174), wie sie bei der Einschätzung von Freiräumen, die den nichtnationalsozialistischen Autoren im Dritten Reich zugestanden waren, zu bedenken ist; Hanns Johst, von 1935 bis 1945 Präsident der Reichschrifttumskammer, hatte schon im Jahr 1932 eine künftige Kulturpolitik des Nationalsozialismus umrissen Johst: Kunst unter dem Nationalsozialismus, in: Was wir vom Nationalsozialismus erwarten, hg. v. Albrecht E. Günther, Heilbronn: Eugen Salzer 1932, S. 149-153), die eine vollständige Gleichschaltung vorerst nicht plante. Nach der Machtübernahme kam es denn auch keineswegs zu einer solchen totalen Ausrichtung der Kultur auf den nationalsozialistischen Staat. Zum einen nahmen die aufwendigen, auch von wirtschaftlichen Interessen bestimmten, von der Rücksicht auf das Ausland abgebremsten, von der wechselweisen Konkurrenz nationalsozialistischer Instanzen behinderten Maßnahmen zur kulturellen ›Gleichschaltung‹ geraume Zeit in Anspruch und waren organisatorisch nur allmählich zu bewältigen. Überdies aber sollten den Noch-nicht-Überzeugten einige umpolitische Freiräume eingeräumt bleiben, um ihnen die Integration in den nationalsozialistischen Staat annehmbar zu machen. Beargwöhnt werden die ›Individualisten‹, denen ein ausländischer Beobachter (Albert Bettex: Some Aspects of the Contemporary German Novel, in: GLL 1, 1936/37, S. 204-217 hier S. 21o) B. zurechnet, allemal. Forciert aber wird die >Gleichschaltung> der Kultur im Dritten Reich mit verschiedenen Repressionsmaßnahmen erst seit etwa 1937. Im Jahr 1938, das im Jahreslagebericht des Sicherheitsdienstes der SS als »ein Jahr der Entscheidung« für »die ältere Dichtergeneration» - also etwa Grimm und Kolbenheyer - erscheint, ist allerdings bei der »jungen Generation« überhaupt nur die Romandichtung von Interesse, »während die Lyrik fast ganz fehlt, obwohl auf ein lyrisches Werk gerade der nationale Buchpreis fiel: Die Lieder unbekannter österreichischer Hitlerjungen« (Meldungen aus dem Reich 1938-1945, hg. v. Heinz Boberach, Herrsching: Pawlak 1984, Bd. 2, S. 155).
Zu B.s politischer Haltung unter der nationalsozialistischen Herrschaft ist im Detail wenig überliefert. Jedenfalls müssen die spärlichen Zeugnisse im Rahmen der Kunstauffassung, die er mit seinen Freunden teilte, und des Alltagslebens seines Münchner Freundeskreises verstanden werden. Das Bewußtsein, einer geistigen Elite anzugehören, entfaltet sich hier zunächst in den seit Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen (vgl. Bd. 1, S. 614-619) verbreiteten konservativen Denkfiguren. Dem gemeinsamen, politisch orientierenden Ordnungsdenken, das immer wieder gegen die republikanische ›Unordnung‹ ins Feld geführt worden war,
widmete der von all diesen Autoren verehrte Rudolf G. Binding (vgl.unten S. 295f .) einen Beitrag im Inneren Reich vom April 1934,
Über die Freiheit:

Du bist frei, wenn du dich einordnest - wenn du dich einbeziehst in eine Beziehung oder Ordnung, die du anerkennst. Anders gibt es gar keine Freiheit. Immer setzt Freiheit eine Ordnung oder Beziehung voraus. Die Freiheit ruht auf einer Basis, die aufs Festeste gesichert sein muß. [...] Nur unter der gleichen Ordnung gibt es Freie. Du bist nur mit Freien frei. Freiheit für dich heißt: Anerkennung der Freiheit der mit dir unter dem Himmel der Freiheit Lebenden. Die gewollte Einordnung ist die Grundlage und die Grundtatsache der Freiheit - ebensowohl im Staate wie für Geist und Seele.

Eine in den Krisenjahren der Republik traumatisch verstörte Liebe zu Deutschland als weitere grundlegende weltanschauliche Gemeinsamkeit formuliert Karl Benno von Mechow in einem Brief an Paul Alverdes am 15. Juli 1931, also in der ersten Zeit ihrer Freundschaft - im Rückblick auf eine »hochheilige Zusammenkunft« von Kulturschaffenden in Gera, die sich ihm als »eine beschämende Entblößung zwanzigfach individuell gefärbter Eitelkeit und Ichsucht« darstelle -
zumal wenn ich an das Volk und Vaterland denke, das ja hin und wieder beschworen wurde. Vielleicht, so denke ich jetzt manchmal, hat nur eines gefehlt in diesem Kunterbunt von Zeitlosigkeit und Aktualität: Wie, wenn einer aufgestanden wäre und gesagt hätte: Das Volk, aus dem, für das wir sprechen - das Deutschland, worum es uns geht, nämlich dies immer geliebte Wunder aus Landschaft und Tiefe und unersetzlicher Erinnerung - über kurz oder lang existiert es vielleicht nicht mehr! Daran laßt uns denken! - [...] Ich gestehe, daß ich vom Gedanken an das, was uns bevorzustehen scheint, ganz gelähmt bin [...]. - Vorläufig habe ich gefunden, daß eine gewisse Gläubigkeit heute das Allerwichtigste, weil Allerseltenste ist [...]. Den Glauben hat heute eigentlich nur noch der Kommunist, ich stehe seinem Glauben entgegen und bin meiner ganz sicher darin, aber ich finde keine Gesellschaft. [...] Es scheint fast, die stärkste und unüberwindlichste Idee hat gegenwärtig nirgends Fleisch, oder aber wir sehen es nicht.
Erwin Guido Kolbenheyer ging in einer »Rede, gehalten an deutschen Hochschulen im Frühjahr 1932« von der erschütternden »Zweifels-« und »Gewissensfrage« aus, die ihm wie sieben weiteren »Gelehrte[n] und Schriftsteller[n]« von der Münchner Studentenschaft vorgelegt worden sei: »Ist die deutsche Kultur am Ende?« (Kolbenheyer: Unser Befreiungskampf und die deutsche Dichtkunst, München: Albert Langen/Georg Müller 1932, S. 3). Ähnlich gestimmt begrüßten nicht wenige Autoren, die einer )Konservativen Revolution< zuneigten, die nationalistische Wende in der Politik Anfang der dreißiger Jahre und auch die nationalsozialistische >Machtergreifung(, wenngleich sie stets für die )Dichtung< jenen Freiraum des ›Unpolitischen‹ bewahren wollten; sie gerieten so alsbald in ein prekäres Verhältnis zur Herrschaft des Nationalsozialismus. Während von den Gästen an Rudolf G. Bindings »Freundestisch«, wo B. wie Alverdes regelmäßig verkehrten, der erfolgreiche Romanautor Edwin Erich Dwinger nach 1933 dem nationalsozialistischen Staat eifrig diente, frappiert etwa in Ludwig Barthels Werk gerade das »Nebeneinander von schöner Harmlosigkeit und plakativer Heroisierung der NS-Ideologie« (Segebrecht, S. 97); in dem Band Vom Eigentum der Seele (Jena: Eugen Diederichs) bekennt er 1941 zum Thema Der Dichter in seiner Zeit (S. 171):
Man will nicht Dichter seiner Zeit, seines Staates und seines Volkes werden, sondern man ist und wird das durch Geblüt und Erlebnis, wie etwa Geblüt und Erlebnis den Dichter der Landschaft oder der Liebe bestimmen. (...) Da sein Auftrag aber nicht nur Sterne und Meer, nicht nur die Geliebte und das Lob der kleinen Wunderbarkeiten von Gräsern oder Steinen umfassen kann, da aus dem Schicksal seines Volkes, aus seiner Heimsuchung wie aus seinem Triumphe genug Bitten und Befehle, erlaubte Befehle, an den Dichter ergehen können, hat er kein Recht, den Bereich seiner Erschütterungen und seiner Empfänglichkeit irgendwo beendet zu erklären, sondern er wird mindestens mit der gleichen Hingabe und Demut, womit er den Fischen und Wolken dient, auch dem Leben seines Volkes zu dienen haben.
B. gehörte jedenfalls um 1935, »als sich die Diktatur allmählich durch Erfolg konsolidierte« (Almanach, S. 116), zu jenen »konservativen Schriftstellern«, von denen es in einem »Deutschlandbericht« der verfolgten Sozialdemokratischen Partei heißt, daß sie sich trotz ihrer nationalen Hoffnungen letztlich mit dem Dritten Reich nicht identifizieren konnten, vielmehr den »Zwiespalt zwischen Ideologie und Realität [... ] schmerzhaft deutlich« erfuhren und in »literarischen Zeitschriften und an anderen, der breiten Masse nicht sichtbaren Stellen« versuchten, »das System zu kritisieren« und »in verhüllter Form ihrer Lesergemeinde zu sagen, wie sie über Heldenkult, militärische Ideologie, Rassenfrage usw. denken« (Deutschlandberichte der SoPaDe. Zweiter Jahrgang 1935, o.O.: Verlag PetraNettelbeck/Zweitausendeins 198o, S. 227f.). »Sie waren« freilich, wie es in der heutigen Diskussion etwas einseitig pointiert heißt, »nur geduldet. Eine Gefahr bedeuteten sie nicht. [... ] Sie befriedigten den Eskapismus und
das Bedürfnis nach Erbaulichkeit eines bürgerlichen Lesepublikums« (Reichel, S. 328). Ein Foto aus den dreißiger Jahren (Privatbesitz) zeigt, gleichsam diese zweideutige Stellung einer folgenlosen Opposition illustrierend, B. mit einigen Freunden bei der Verbrennung einer Hakenkreuzfahne.
Grundsätzlich jedenfalls widersprach eine Vereinnahmung der ›Dichtung‹ für politische Zwecke B.s Ethos (vgl. Bd. 1, S. 614) wie dem der konservativen Avantgarde, die keinesfalls in völkischen Gruppierungen aufgeht, insgesamt. Das >unpolitische Dichtertum< war für Oskar Loerke wie für Wilhelm Lehmann selbstverständlich; die Kolonne hatte es zu verteidigen gesucht; in einem für das Innere Reich übersetzten Beitrag von IS. Eliot über Demokratie und Dichtung hieß es: »Künstler von gleichem
künstlerischen Rang können politisch sehr verschiedener Meinung sein, und manche Künstler haben wohl auch überhaupt keine politischen Interessen. « (DIR 5, 1938/39, S. 641) Bei Alverdes hatte sich diese Auffassung in der revolutionären Nachkriegszeit gebildet (vgl. Expressionismus in Regensburg, S. 79), und sie wird von dem nationalsozialistischen Literaturkritiker Hellmuth Langenbucher 1937 im polemischen Referat gegen Alverdes genau benannt:
Hans Grimm hatte vor einiger Zeit Gelegenheit, seinen Standpunkt in einer Auseinandersetzung mit Paul Alverdes besonders scharf herauszustellen. Paul Alverdes äußerte die Ansicht, daß es »das Wesen aller echten Poesie wie aller echten Kunst« sei, daß sie »keinen Standpunkt besitze«. Paul Alverdes schreibt: »Wenn einer eine Geschichte erzählen will oder ein Gedicht machen, so wird er sich durch die Einsicht, daß er weder seiner Nation noch sonst irgendwem oder was damit unmittelbar weiterhelfe, von seinem Vorsatz nicht abbringen lassen. « Diesen Satz aussprechen heißt, die Auseinandersetzung über die Aufgabe des Dichters auf die Ebene des Spielerischen herabdrücken. Einer, der von uns heute als Dichter unseres Volkes ernst- und wichtiggenommen werden will, wird die Aufgabe des Dichters ganz anderswo sehen als da, wohin Alverdes sie mit seiner Auffassung schieben möchte. »Eine Geschichte erzählen oder ein Gedicht machen« ist noch keine Verrichtung, die einen Menschen zum Dichter macht, der von uns die Anerkennung seiner Berufung und seines geistigen Führungsauftrages fordert. Hans Grimm wendet sich gegen diese das dichterische Werk so gering wertende Auffassung, indem er mit Leidenschaft die politische Verpflichtung des Dichters beschwört. Hans Grimm sieht im Schicksal des deutschen Volkes den »größten und natürlichsten Gegenstand« der deutschen Dichtung. Hans Grimm schreibt: »Es wäre eine unerhörte Verengung der Poesie, wenn das mühelosere Phantasiespiel ein künstlerisches Vorrecht haben sollte vor der gestalteten Realität. « Hans Grimm fordert den Blick auf das Ganze, da gerade die großen Wendungen im Einzelleben eines Menschen vom Geschick der Nation entscheidend bestimmt werden. Der Dichter gebe in seinen Werken, so will es Hans Grimm, »gestaltete Kunde vom wirklichen Sein der Nation«, nicht »irgendwelche Kleinode, sondern Volkswirklichkeit«. »Die aufgestapelten Schätze der deutschen Dichtung sind längst verwirrend reich, und also scheint mir, daß in unserer Gegenwart und für unsere Not die besondere Bedeutung des lebenden Dichters für sein Volk eben nicht darin bestehe, diesen Schatz um ein kleines und sei es auch um ein großes Kleinod zu vermehren. Sondern vor unserer Not ist für den Dichter die neue härtere Notwendigkeit einer von ihrem Gegenstande her neuen notwendigen Kunst entstanden. «
Dieses Hinaustreten aus dem Ich-Raum in den Volks-Raum wird von allen wesentlichen Dichtem unserer Zeit nicht nur bekenntnishaft gefordert, sondern als Wirklichkeit ihres Werkes auch in der Tat gegeben.
(Langenbucher, Volkhafte Dichtung der Zeit, 3. Aufl., Berlin: Junker u. Dünnhaupt 1937, S. 24£)
Langenbucher bezeichnet Alverdes noch 1973 als »Ästhet« (Mallmann, S.120).
Aus B.s Münchner Bekanntenkreis hatte schließlich auch Hans Brandenburg, wie Günter Eich in einer Polemik gegen Johannes R. Becher (vgl. oben S. 257), die Autonomie der ›Dichtung‹ schon im April 1925 in einer rhetorischen Frage bekräftigt: »Und wie können und sollen uns Stinnes [der Großindustrielle als Beispielfigur der Modernisierung und der Politisierung des Wirtschaftslebens], Kino und Radio daran hindern, durch unsere Zeit ebenso ins Zeitlose gestaltend vorzudringen« (zit. n. Becher, Werke Bd. 15, Berlin/DDR: Aufbau 1977, S. 706). Im Jahr 1937 ergänzt Brandenburg diese Absage an die Politik allerdings um einen Nationalismus der Kulturnation und versichert: »[...] die von uns keine Kämpfernaturen im äußeren Sinne waren, halfen doch gleichfalls das innere Vaterland retten und bewahren« (Brandenburg 1937, zit. n. Segebrecht S. 123). - In B.s engerem Kreis warf man Hitler - gemäß einem Deutungsschema, das B. angesichts der linken )Literatenrevolution< im München von 1919 offenbar auch für das rechte Extrem des politischen Spektrums gültig schien - neben einer »Verwechslung der nationalen Gedanken mit den revolutionären« (Hohoff, S. 28) vor allem den Bohemeradikalismus des >Literaten< vor; es sei »wohl kein Zufall«, soll B. geäußert haben, »daß ein Unmensch wie Hitler sich für einen Künstler hält. Sehen Sie nach Schwabing, da laufen immer noch einhundert von der
gleichen Sorte herum« (ebd. S. 28). Erst in seinem Erinnerungsbuch macht Hohoff die Grenzen und die Manipulierbarkeit dieser >unpolitischen( Haltung des )Dichters< kenntlich:
In Wirklichkeit waren heute weder Fotografie und Mode, noch die Klassiker der Literatur und Theologie wichtig, sondern die Politik. Das politische Zeitalter war angebrochen! Der politische Mensch, konnte man täglich in den Zeitungen lesen und im Radio hören, sei das höchste Exemplar der Gattung. Wir hatten, in diesem Punkt, das Bewußtsein eines Schmetterlings im Kokon, der noch nicht weiß, ob er fliegen wird. Wir waren jung und leichtfertig. An schönen Wochenenden
fuhren wir mit der Maschine nach Passau, zum Bodensee, nach Bamberg und Erlangen. Wir sahen uns Kirchen und Klöster an und bekamen das Empfinden von der Überlegenheit des Südens in seinen Bauwerken auf religiöser Grundlage, und daß das Reich der Deutschen hier unten lebendig geblieben sei.
(Hohoff; S. 225)
Diesem unbefragten Nationalismus ist auch die entscheidende Ambivalenz in B.s Lebensrolle geschuldet, die in dem seit dem 18. Jahrhundert problematischen Verhältnis von ›Dichter‹ und Held beide Positionen aktualisiert nebeneinander bewahrt; während seine Texte - wie gerade der 1932 erschienene Hamlet-Roman (vgl. Bd. III, 1, bes. S. 266-277, zur Fehlrezeption der Zeitgenossen, sowie in Bd. III, 2, S. 458 Hausensteins Deutung des ›Kriegserlebnisses‹ und seiner Verarbeitung bei B., schließlich Bd. 1, S. 619) - eher von einer tiefen Verstörung durch den Krieg zeugen, hebt er in selbstverfaßten Lebensläufen für Anthologien und Almanache (wohl erstmals in: Das Jahrbuch der deutschen Dichtung 1932, hg. vom Verein Raabe-Stiftung München, S. 38; vgl. oben S. 277) stets das prägende Fronterlebnis hervor und stellt sich damit in die Reihe der im Langen-Müller Verlag versammelten »Männer aus dem Kriege« (so die Verlagswerbung; zit. n. Meyer, S. 173), wie sie neben der ›jungen Mannschaft‹ auch in der nationalsozialistischen Literaturgeschichtsschreibung zum Vorbild erhoben werden.
In Notizen seines unveröffentlichten Tagebuches behauptet Eugen Roth nach einem Gespräch im ersten Kriegsjahr 1939, daß B. »immer wieder das Phänomen Krieg oder vielmehr das Phänomen Front mit der schlechten oder ungerechten Politik [verwechselte], die ohne letzte Not den Ausweg des Krieges ergreift. Freilich«, so hält Roth die Ratlosigkeit dieses national gesinnten Schriftstellerkreises angesichts nationalsozialistischer Kriegspolitik fest: »Welche Kriege der Weltgeschichte sind ›gut‹, welche ›schlecht‹, « Die Notiz fährt, zunächst mit einer Ergänzung auf der Rückseite, fort:
Br. erklärte immer wieder, die ganze große Dichtung sei erfüllt vom Ruhm des Krieges. Das ist aber nur bedingt richtig. Sie ist voll vom Ruhm der männlichen Taten. Aber ist ein Goya nicht auch wahr? Und ein Barbusse? Freilich mit [... ] Remarque] oder gar Feuchtwanger, mit den Kriegshassern und Bürgerkriegspredigern der Kommunisten wollen wir nichts zu tun haben.
»Jeder Soldat ist ein Mörder«? die uralte Frage. Natürlich von beiden verneint. Der Deutsche hat das Recht und die Pflicht, die Versenkung eines englischen Kriegsschiffes nicht mit dem Mitleid mit den Ertrunkenen zu beantworten. Das Mitleid kann er an sich natürlich haben. Aber es darf nicht Ausschlag geben.
Krieg als Erlebnis. Es stimmt natürlich: Was mich nicht tötet, macht mich stärker. Keiner möchte das Erlebnis des Krieges missen. Ernst P ist der einzige von uns Älteren, der wirklich das Grauen sieht. Er spürt aber auch den Wahnsinn.
Berichte über die Verhältnisse in Polen. Es muß grauenhaft dort sein. B.: Hat zum Beispiel mit den Indem kein Mitleid. Er sagt, wenn sie sich nicht wehren, geschieht ihnen recht. Das ist aber ein gewalttätiger Standpunkt, der vergißt, daß es auch andere Menschenwerte gibt als den Kampf.
Br. hat den großen Vorteil, daß er die heldenhafte Auffassung für sich hat, während sein Gesprächsgegner immer die Gefahr läuft, als Feigling und Miesmacher dazustehen.
Seine aus dem ›Fronterlebnis‹ erwachsene nationale Haltung ließ für B.eine Emigration als unmöglich und auch unnötig erscheinen; er war
überzeugt, daß die politischen und militärischen Erfolge der Nationalsozialisten - bis hin zum Anschluß Österreichs (vgl. S. 363) - Deutschland zugute kämen, während ihre Diktatur nur eine Episode minderer Bedeutung sei. Selbstzweifel, radikale, gar verzweifelte Reflexionen »über die Zeit, die Politik, die Lage der Kultur im Dritten Reich: all dies [blieb bei B. daher] weitgehend ausgespart« (Haefs, S. 53); erst aus der Nachkriegszeit liegen schriftliche Zeugnisse für sein Bemühen vor, das Dilemma seiner Haltung zu klären - so in dem großen Brief vom 11. November 1947 an den verfolgten und emigrierten Freund Alex Wetzlar (vgl. oben S. 294):
In unserem Thema, und in Deinem Fall, ist der leidige Punkt, der in all diesen Erwägungen wiederkehrt, die Personalunion Hitler-Deutschland. Die meisten kämpften für Deutschland, mochten Hitler nicht, aber um Hitler loszukriegen Deutschland in den Abgrund zu werfen, das vermochten sie nicht. [...] diese dämonische Verquickung von Diktator und Heimatland machte alles so schwer. »Was ich vielen Deutschen zum Vorwurf mache«, schreibst Du, »ist, daß sie das schmutzige und ihnen selbst widerwärtige System der Nazis benutzt haben, ihre nationalen Aspirationen zu verwirklichen. Sie hatten ganz vergessen, daß eine mit so üblen Mitteln eroberte Macht nicht von Dauer sein könnte. « Gestern las ich zufällig bei Jakob Burckhardt: »Und
dazu kommt der Generalirrtum, daß eine aus tiefem Egoismus, Lüge und Gewalttat gebaute Herrschaft nicht solide sein könne, als ob in der Regel die Mächte der Erde auf etwas anderes gebaut würden. Wenn eine Großmacht soll geschaffen werden, so geschieht das in der Regel nicht bei schönem Wetter, sondern geht unter entsetzlichem Gewitter vor sich.«
B. nahm »Hitler und die NS-Diktatur hin mit einem Verweis auf den vermeintlich machiavellistischen Charakter jener Politik, der keinerlei Werturteil zulasse« (Haefs, S. 53) oder »doch immer nur die vorgängige Wendung des ›Dichters‹ vom ›Leben‹ zur ›Wahrheit der Poesie‹ rechtfertige« (Hohoff, S. 163). Er ließ sie also gelten im Sinn einer verflachten ›Lebensphilosophie‹, auf deren Ahnherren »Nietzsche und Schopenhauser« B. sich gern »berief«, freilich - wie Curt Hohoff (S. 209), den Trivialisierungsgestus dekouvrierend, weiter mitteilt - »nicht auf ihre Philosophie, sondern auf ihr Lebensgefühl«:
Von ihnen hatte er die Haltung des stolzen einzelnen übernommen, den kulturellen Pessimismus, die Indifferenz gegenüber der Religion, aber auch manche ihrer Torheiten, obwohl er persönlich anders empfand und dachte, etwa über die Frauen, die Distanz von den Massen und die Verachtung für das politische Parteiwesen. Ganz allgemein fühlte er Verwandtes bei Ernst Jünger, bei Gottfried Benn und dem Bert Brecht von Baal, Trommeln in der Nacht und der Hauspostille.
Die Worte vom Kampf aller gegen alle, vom Kampf ums Überleben, von der Auslese der Stärksten benutzte er nicht philosophisch und biologisch, wie er sie bei Darwin und Nietzsche fand, sondern politisch. Er schrieb Hitler den Charakter des Machtmenschen zu. Macht sei das Wesen der Politik. Das große Publikum sei freilich nicht imstande, das Wesen der historischen Kausalität und der Machtpolitik zu fassen. Es fange sich im Netz der großen Worte.
(Hohoff, S. 42f.)
Erst um 1942 aber, als sich die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges abzeichnete, wurden Hitler und die Nationalsozialisten in diesem konservativ nationalen Freundeskreis vollends als ein ›deutsches Verhängnis‹ betrachtet. Das Bewußtsein, einer isolierten Kulturelite im Zeitalter »der brutalen Herrschaft der Massen« anzugehören, bestimmte jetzt - vielleicht bestärkt durch Ortega y Gassets Reflexionen Der Aufstand der Massen (193o; dt. 1931, S. 17 das Zitat) - die Versuche, die Verstrickung in die Zeitgeschichte noch zu begreifen. Aufzeichnungen in Eugen Roths unveröffentlichtem Tagebuch und besonders darin enthaltene Werkskizzen unter dem Arbeitstitel »Gespräche am Fluß «, die vor allem B. s Meinungen überliefern, geben davon Zeugnis; Auszüge zum Leben der >Geistigen( in der Diktatur, zur Massenpsychologie und den Chancen eines Widerstandes, zur Judenverfolgung und der Wolfsnatur des Menschen, schließlich zum Krieg und dem drohenden Untergang Deutschlands werden im folgenden mitgeteilt (vgl. ergänzend: Almanach S. 80-87).
 
Aus Aufzeichnungen von Eugen Roth

Ein Ausblick. Juli 1940

Mehr und mehr erkennen wir, daß das Jahr 1789 die eigentliche Trennung der Zeiten bedeutet. Von hier aus geht der Untergang des Einzelmenschen, des Herren, beginnt der Massenmensch. 1813, 1830, 1848, 1871, (Kommune) 1914, (erster Fall der Massen) 1918, ja selbst das so entscheidend scheinende 1933 sind nur schwächere oder stärkere Auslösungen innerhalb des ganzen Vorgangs. Höchstens das russische 1917 ist an Bedeutung gleich.
Die Adeligen von 1789 wußten es genau, wie wir es wissen und waren genau so zu schwach, wie wir zu schwach sind. Die Weisheit, daß mit ein paar Regimentern der ganze Spuk zu bannen wäre, ist nicht alt und nicht neu, aber ungültig vor den Tatsachen.
Die Stände sind aufgelöst, die Welt wird umgegliedert, die Maschine verwüstet. Der tiefste Kern ist der Tod des Christentums. Wir warten eines neuen Himmels und einer neuen Erde.
Die Entwicklung zum Ameisenstaat, eingeleitet durch den preußischen Geist, ist nicht mehr aufzuhalten. Der einzige Lebensinhalt, nach Verlust des Glaubens, Einbuße der Freiheit in Handel und Wandel, ist Pflichterfüllung. Der Neid wird durch Volksgemeinschaft beschwichtigt: Keiner soll es besser haben. Der Anspruch auf Bildung ist in der gefährlichen Halbbildung der Masse steckengeblieben. Der kleine Mann macht sein Recht auf die Kultur geltend, kann aber damit nichts anfangen. Er geht nicht ins Theater, sondern ins Kino, hört kein Konzert, sondern den Rundfunk, hat keine weißen Tischtücher, raucht aber Zigaretten. Der Ruf der Freiheit genügt ihm, um lieber in die Sklaverei zu gehen. Er wird nicht Söldner, sondern Berufssoldat, Beamter, Angestellter. Das Wort vermag viel. Die Kunst ist gefährdet; mit ihr der Künstler. Allerdings, er darf noch eine Art Massen-narr sein, einem Filmstar würde erlaubt sein, mit goldenen Sporen durch das Elend zu reiten. Die Maler, Zeitungsleute, Schreiber aller Grade läßt man leben, weil man sie, zum Schein, braucht.
Darf die Welt noch vom Standpunkt des Einzelmenschen aus betrachtet werden? Die Antwort, nein, ist das Zeichen der Schwäche. Dreiviertel der Menschen, in den großen Städten, haben keine Berufe mehr, sondern Arbeit. Daß zu bestimmten Berufen Gnade und Begabung gehört, daß es Glückliche gibt, die sie besitzen, wird ängstlich ver
schwiegen. keine Rangordnung mehr, nur Menschenrechte. Soziale Fürsorge selbst wird zu einem Instrument der Staatssklaverei. Aber solche Gedanken sind nichtig vor der Aufgabe, vor den Tatsachen. Private Abscheu vor der not-wendigen Entwicklung hat nichts mehr zu bedeuten. Es ist kein Zufall, daß einer aus den vielen die vielen herauffiihrt; nicht nur in Deutschland. Dieser Krieg ist eine Notwendigkeit unserer Massen. Vielleicht schafft er genügend Raum, um den Druck zu mildem. Was zu eng gesperrt ist, muß gleichgerichtet, gleichgeschaltet, auf geringsten Raum zurückgedrückt werden.

Traum (Anhaltspunkt)
Ich weiß es noch gut, wie wir zwei, B. riesig voranstapfend in der schmalen Spur, ich hinter ihm drein, den Fluß hinuntergingen, im frischen Schnee, im tiefen Schnee, der blau und golden zu schimmern begann im eben sich erwärmenden und aufklarenden Februarvormittag, ja, der schwarz schien in seiner Fläche, wie der Freund staunend mir's wies, gehend und sprechend, munter und aufgeschlossen, wie wir es selten waren in jenen schweren Tagen, selten sonst, bei milder Luft und guter Gesundheit, erfolgreich und an satten Tischen, aber schrecklich überdroht von einem Verhängnis, das leicht zu wittern und schwer zu greifen war.
Der Mensch kann sich an alles gewöhnen, stellten wir fest; und das hat ihn zum Herrn der Welt gemacht und zu ihrem Knecht. Es ist edler und unedler als jedes andere Lebewesen. So vermag er noch in der aussichtslos scheinenden Vernichtung zu arbeiten und aufzubauen - Völker und Jahrtausende vergingen in Krieg, Verödung, Sand oder Eis: Der Mensch lebt, schafft neue Kulturen, muß an ihnen festhalten bis zum letzten. Sind wir am Ende?
Morgen kann die erste Bombe in eine kostbare Sammlung fallen: Wir kümmern uns ums Kleinste. Archimedes: Störe mir meine Kreise nicht! - Der Turm von Babel: Unsere Kultur! Jahrmillionen erforscht, Biologie, Physik usw.: und nackte Gewalt. Wahrheit und Lüge. Freiheit und Knechtschaft. Wir gleichen uns an: leben!
Traum: Was haben wir mitgemacht!? Verwischung der Grenzen: Ob ich Konstantinopel »gesehen« habe? Farbfilm, Bücher. Athen: gesehen, nicht viel anders. Der Teufel hat uns die Welt gezeigt, die wir verlieren.
Im Felde gewesen: ein Traum, Wieder Krieg - ein Traum. (...]
Die Flachen können nicht genug kriegen und die Tiefen gehen daran zugrunde. Es wird hergeschafft und auf allen Märkten zurechtgemetzgert. Eine Art Polizei verwehrt (?) die ärgsten Dinge, jeweils. Was die Welt erzeugt! Und was sie frißt!
G. Br. erzählt
Evtl. für Münchner Roman zu brauchen
Ich bin einmal, wir waren 20 Jahre, vor dem Krieg mit [einem] Freund, dem Maler D[...] in Stadt am Hat, in eine Versammlung gegangen. Die Handwerksmeister usw. faßten eine Entschließung, daß die Steinerne Brücke in Regensburg abgebrochen werden müßte, weil sie dem Verkehr nicht mehr genüge. Abstimmung. Alles blieb sitzen, nur B. und D. standen auf. Der ganze Saal, sagte er, sei wie ein glühendes, einziges Auge auf sie gerichtet gewesen. Mit Mühe hätten sie sich in die Garderobe gerettet. Seidem habe er gesehen, was eine wütende Volksmasse ist, daß man die behandeln und erfühlen muß wie ein Naturereignis, ein Gewitter und dergleichen.
Br. erzählte, daß er als junger Mensch halbe Nächte darüber nachgedacht habe, ob die Deutschen ein junges Volk seien.
Er weiß es bis heute nicht. [...]

Gespräch mit Georg
Willensfreiheit
i. Ich kann, wenn ich will, irgendwo sagen, daß ich die Tyrannei für ein Verbrechen halte. Ich kann aber, ganz praktisch, bereits nicht mehr zu größeren Volksmengen sprechen; ich werde daran gehindert. Ich kann es also im Grunde nur denken, das heißt, in einem Kreis von Gleichdenkenden aussprechen. Andernfalls muß ich, ohne irgendeinen Zweck zu erreichen, mein Leben verlieren und zwar auf eine grausame Art, auch das meiner Angehörigen und Freunde aufs Spiel setzen. Das sei immer so gewesen? Nein. Die technische Zeit arbeitet exakter. Wenn ich sehe, daß eine Äußerung, die ich mache, nicht nur gefährlich, sondern sogar zwecklos ist, dann ist es doch nicht mehr Willensfreiheit, das zu erlangen. Dummheiten zu machen, Sinnlosigkeiten, steht jedem frei, aber das ist nicht mehr Willensfreiheit, also praktisch ist sie nicht vorhanden, nur im schönen Gerede von Leuten, die die Welt nicht kennen (oder doch? Strengstes Ethos??)
Ich kann also hingehen und den Tyrannen ermorden. (Ob das gelingt, ist immer schon fraglich geworden, aber es ist jetzt noch viel weniger möglich). Gehört das noch zur Willensfreiheit? Wenn ich mich gezwungen sehe, den einzigen Ausweg zu suchen, den ich gar nicht will. Denn ich will ja nicht! Ich will ja nur recht leben.
[...] Es sagen doch Leute allen Ernstes, denen nie von Juden etwas getan worden ist, höchstens daß sie ein bißchen betrogen worden sind: Mir haben es die Hunde auch nicht anders gemacht, was meinen Sie, was ich schon alles erduldet habe. Die jüdisch Versippten. Kiefh. die anderen kommen. Fragen. Angst, natürlich.
Hier, in der Isar, müssen sie zu Dutzenden treiben, Selbstmörder. Aber nein. Man trinkt Wein, lebt hier in München, dem guten alten München und ist morgen in Linz (dem guten alten Linz), aber nein, in einem Inferno, das keiner kennt. Trinkt heute noch Wein, ist morgen in Riga. Wird scheußlich ermordet. Geschichte von Hans Bl.
Und all das das deutsche Volk. Das herrliche.
[Am Rande rechts:]
Ich würde es hindern. Aber wenn dann der Neger tot ist [bezieht sich auf ein früheres Gespräch über die kollektive Ermordung eines Negers], würde ich wohl auch sagen: Schau an, so ist es, so also sind die Menschen. Nichts zu machen.
Und deshalb weiß ich [B. ], grausam, weil ich sage, wie alles ist. Und Lüge und falsche Moral. Und die anderen, die Heuchler, die nennen sich gut und besser und sie sind es, die keiner Fliege etwas tun können. [Rückseite:]
[...]
Warum schreiben wir ganz andere Dinge, als die uns auf den Nägeln brennen?

G. B. Der Wolf
Tiefer Winter oder ganz heißer Sommer.
Das ist nicht schön, sagte X. Freilich ist es nicht schön, sagte Y. - Aber der Wo f ist so; es hat keinen Sinn, an den Wolf eine Predigt zu halten. Das ist Geschwätz, du mußt ihn töten. Oder du mußt dich von ihm fressen lassen. Das war das liberalistische Geschwätz. X. sagt: Nun, es gibt auch etwas anderes. Wir hatten geglaubt, eine Kulturwelt zu sein, den Wolf vertrieben zu haben. Genfer Konvention, K. überhaupt. Wie man ja auch den Wolf allmählich zurückdrängt, nur durch Kult des Bodens.
[Randnotiz:] Nicht einig, daß die Welt voller Wölfe ist. [...]
Was ist Wahrheit? Literatur! Alles verlogen! Das stimmt ja alles nicht. Es ist in Wirklichkeit alles viel brutaler.

Okt. 39 Mit Georg
Großer Streit: Ich ein Empörer, er ein Fatalist.
   Das Phänomen: Richard III.
   Gut und Böse.
Es ist nicht schade um die Menschen. [Das Dementi jener Leitformel der Göttin Indra in Strindbergs Traumspiel, die bei ihrem Erdenbesuch angesichts von Leid und Haß immer wieder feststellt: »Es ist schade um die Menschen«.]
Defaitist zerstört Kraft des Siegers.
Es wäre eher ein Wunder, wenn es gut ginge. Denn niemand glaubt daran.
Schuld der Na.? Schuld ihrer Gegner?
Tragik: Wieder einmal zerrissen. Jedes Volk ist für die Männer verantwortlich, die es hervorbringt.
B.: Freier Wille? Die Bösen müssen böse sein, die Guten sind gut. Wenn sie sterben, sind sie vor dem Tode gleich, erlöst. »Salzburger Welttheater«: Jeder muß die Rolle spielen, die ihm zugeteilt ist.
Das deutsche Volk ist zu einem wirklich strahlenden Sieg, wie etwa die Makedonier unter Alexander dem Großen, gar nicht bereit. Sie wollen gar nicht siegen, »Menschlichkeit«.