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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs

Band 3-2  Seite 73
Kommentar Seite 461 [Holzschnitt von Hans Baldung Grien]

Aus: »Das treue Eheweib«



 
Das Duell der Pferde

Die beiden Pferde, die beiden Hengste, fuchsrot, mit großen Glitzeraugen, wie schlugen sie mit den Schwanzfeuerbränden in die Mückenschwärme, die sie wolkicht umbrausten! Die Schwänze züngelten ihnen im Schwung fast bis zur Brust und im flatternden Bogen zurück dann, steil abstehend, daß sie dem Lenker auf dem Bock des Wagens die Nase kitzelten. Die Bäume flogen, und das Land dehnte sich mit Dächern und Weihern, die blitzend und verstreut lagen, wie Silbertaler auf die Wiesen geworfen.
Seit zwei Jahren standen die Hengste im Gespann, und wenn der Zuruf des Herrn sie traf, schmissen sie die Köpfe hoch und griffen aus, als wollten sie wie im Rennen einer dem andern entkommen, aber die Deichsel blieb zwischen ihnen, und dann stießen sie mutwillig die nassen Mäuler gegeneinander, scherzend, und stampften die Landstraße. Im Stall polterte ihr träumender Huf gegen die Planken. Wenn eine Tür knarrte, ein Luftzug kam, spitz sausten die Ohren nach oben, erregte Flämmchen, und die Köpfe wendeten sie einander zu, und mit großen, irrsinnigen Augen sahen sie sich an. Das spiegelte rund und glänzend, und das Glänzende ging tief hinein, ein gläserner Schacht, kein Ende, und im Tiefsten ein rotes Funkeln, und wie ein Funke sprangs über, von Aug zu Aug. Dann warfen sie sich mit allen vier Beinen gleichzeitig hoch und weg voneinander, preßten sich eng an die Holzwand, erschrocken, Teufelei in allen Blutbahnen.
Der Besitzer des Gutes hatte im Stall noch zehn und mehr Pferde stehen, Ackergäule mit zottigen Büscheln an den dicken Fesseln, auch Reitpferde, vornehme Geschöpfe mit fahrigen Bewegungen, aber den beiden roten Hengsten gehörte seine ganze Liebe. Es war seine größte Lust, sie im Zügel zu spüren, und da er schon älter wurde, stieg er nicht mehr so oft und so gern wie früher in den Sattel, saß lieber auf dem hohen Sitz des Wagens und rollte auf der flammenden Straße in den dunkelglühenden Sommerabend. Oft auch stand er im Stall bei den Tieren, deren nickende Köpfe kreisten wie die Pendel von Uhren, aber nicht mit Öl, mit Blut genährt.
Wenn die Köchin mit dem Messer dem großen Fisch zu Leibe geht, wie fliegen da die Schuppen, liegen glänzend hingestreut auf dem Brett, silbrig, viele flach übereinander! So lag eine Mappe vorm Herrn von M., dem Besitzer des Gutes, lag wie ein toter Fisch, mit aufgeschlitztem Leib, und weiße Blätter waren verstreut auf dem Tisch, wie Schuppen des Mappenfisches. Da waren Stiche von Dürer, einfältig, kunstvoll und gewaltig, Abbildungen nach Holzschnitten der Meister des großen deutschen Mittelalters, und alle Blätter des Hans Baldung Grien, der sich mit Fäusten, Krallen und Nägeln an das Messer hing, mit dem er das Holz der Platte zerstach und zermarterte wie der Lustmörder sein Opfer im dunklen Waldbusch. Das grelle Licht der Tischlampe überspülte die weißen Vierecke, auf denen zwischen vier schwarzen Grenzlinien das Ungeheuerlichste sich krümmte. Zitternd betrachtete Herr von M. Blatt um Blatt und gab es an die Freunde weiter, die um den Tisch gebeugt saßen und den lustmörderischen Holzschneider belauschten.
Das Krachen von Hufschlägen hämmerte auf den Kopf des Knechtes, aber er erwachte nicht, es war ihm nur ein Dröhnen im Traum. Aber da stach ihn wie eine Nadel ein kurzes, hohes, schrilles Wiehern, und jetzt fuhr er auf und drehte das Licht an. Er hatte Stallwache, sollte er nach den Pferden schauen? Der krankhaft bleiche Leib des heiligen Sebastian, der, eine bemalte Holzfigur, über dem Fußende seines Bettes stand, war mit Pfeilen gespickt, und jeder Pfeil trug am Schaft einen blauen oder roten oder gelben fröhlich flatternden Wimpel. Er erwachte nun erst ganz, angelte sich mit der großen Zehe die Schuhe heran und ging. Als er die Tür schloß, wehten die Pfeilfähnchen des Heiligen lustig und grausam empor.
Auf dem Blatt des Hans Baldung Grien, das Herr von M. eben in der Hand hielt, tobte eine entfesselte Schar von Pferden, von riesigen Rössern und Gäulen, mit runden, kugelrunden, wie aus Stein geschnittenen, menschlichen Augen, mit prallen Schenkeln, auf denen die hervortretenden Muskeln wie Schlangen sich wanden. Die Leiber waren nicht aus Fleisch, nicht aus zuckendem Pferdefleisch, aus weißem Erz waren diese Leiber. Die Gesichter keine Pferdegesichter: Menschengesichter, Fratzen von Dämonen, und die starren Schwän-ze bogen sich, wie der Wasserstrahl sich biegt, der aus einem Brunnenrohr hart niederfällt. Die langen Leiber wanden sich im Spiel und Kampf und Krampf verschlungen, wie die Strangenden eines aufgedrehten, ausgefransten dicken Stricks.
Im Stall war das so gewesen: Spielend hatten die beiden Hengste die warmen Nasen aneinander gerieben. Und spielend, nachlässig mit dem Schwanz schlagend, begann jener, der einen kreisrunden, schwärzlichen Fleck neben dem Ohr trug, mit spürendem Necken dem andern den Hals auf und ab zu fahren, auf und ab, immer auf und ab. Er entblößte leicht die Zähne, der Gefleckte, und kniff scherzend in das pralle Fell. Unwillig hob der andere den Kopf, stieß zurück, daß dem Gefleckten das runde Stück, das er zwischen den liebkosenden Zähnen gepackt hielt, fast entwischte. Er suchte das Entgleitende, ihm fast schon Entglittene festzuhalten und biß ein wenig stärker zu. Ein wenig stärker nur, aber so, daß es dem andern weh tat. Der schnappte nach dem Rücken des Gefleckten. Der Biß ging tief, ging so tief, daß das Fell platzte und der Zahn ins Fleisch drang.
Da begann das Duell der Hengste. Im Auge des Gefleckten glühte es auf, ganz aus dem Tiefsten. Er stülpte die Lippen vor zu einem Trichter, die beiden Halbbogen der langen Zähne zeigten sich, und wütend biß er in das Fleisch des andern, biß, riß und riß einen Streifen des Fells los, das triefend, schlappend, handlang herabbaumelte. Der Gebissene stieß den hohen, schrillen Ton aus, der den Knecht geweckt hatte. Schon saßen seine Zähne im Rücken des Gefleckten, und schon schlenkerte dem ein armlanger Streifen, ein armlanger roter Fellstreifen klatschend an die Bauchwand. Die Augen rot unterlaufen, die Köpfe Masken des Hasses, standen sie herzschlaglang unbeweglich. Dann setzten sie ihr blutiges Geschäft fort, ohne daß noch mehr als ein Stöhnen aus ihren Gurgeln sich erhoben hätte.
Als der Gefleckte den Zahn des Freundes im Fleisch gespürt hatte, war ihm wie einem Studenten, dem man einen Schlag ins Gesicht versetzt, wie einem Mädchen, dem man die Unschuld geraubt hat. Und ob das beleidigte Mädchen sich Genugtuung verschafft durch Dolch oder Tränen oder durch beides, oder ob die Scham eines Kindvolkes von dem unzüchtigen und neugierigen Finger des Deichselnachbarn berührt wird (die Deichsel ist hier eine bebende Grenzlinie) und hunderttausend blaue Männer auf dieser und hunderttausend rote Männer auf jener Seite aufstehen und sich das Fleisch von den Knochen schälen – die beiden Pferde, die beiden roten Hengste, der Gefleckte und der Ungefleckte, gehorchten dem Gesetz wie der Student und das Mädchen und das taumelnde Volk.
Der Knecht riß die Tür auf, ein wilder Dunst schlug ihm entgegen, im ungewissen Licht der Lampe, die von der Decke baumelte, sah er das Furchtbare, und, als wolle er die beiden trennen, hob er die Arme, aber »Jesus und Maria« stammelte er bloß in seiner Verwirrung und lief davon, ließ die Tür offen stehn, lief quer über den Hof zum Herrenhaus, und als er sich einmal umblickte, sah er den viereckigen Türausschnitt rot glänzen und im Ausschnitt ein schwarzes, schiebendes Gewoge. Der Mond tanzte gelb über dem Dach, und ein paar Wasserpfützen schimmerten wie dunkler Samt. Im Zimmer rief er nur: »Die Hengste!«, daß Herr von M. das Blatt des Hans Baldung Grien hinlegte, den Freunden winkte, zu bleiben, und dem Boten folgte.
Blutlachen hatten sich zu den Füßen der beiden Pferde angesammelt. Verzaubert waren sie und kämpften längst nicht mehr wie Kämpfer voll Zorn und Wut, sie taten, als erfüllten sie eine Pflicht und erfüllten sie gut und bis zum letzten. Still hielt der Gefleckte, spürte den krachenden Biß, spürte den fetzenden Riß, der ihm einen blutbeschmierten Streifen von den Rippen löste. Dann biß er zu, der Gefleckte, und schälte dem andern einen Riemen herunter, als ob er von einem Baum die Rinde entferne. Und an ihn kam dann wieder die Reihe, stillzuhalten, und die langen Fetzen schlotterten ihnen von den bloßen Rippen. Als Herr von M. den Stall betrat, war die Handlung, die wie eine blutrauchende Zeremonie stampfender Götter sich abgespielt hatte, zu Ende. Sie standen noch, mit wankenden Knien, blutüberströmt, und als ob sie wie Pferde im Turnier Decken und Schabracken trügen, verhüllte ein blutleuchtender Mantel, verhüllten die herabhängenden Streifen ihre Beine.
Natürlich konnte auch der Tierarzt nicht mehr helfen, und die Duellanten mußten erschossen werden. Die Freunde fuhren durch die Nacht heim. Am Kreuzweg liefen die vier Wege nach vier Himmelsrichtungen davon, und die Wagen rollten, jeder auf seinem bleichen Band, und der käsgelbe Mond stieg.
Als einer der Heimkehrer, der allein sein Fahrzeug lenkte, und den die geisterfahle Einsamkeit zu bedrücken begann, mit Freude schon den spitzen Kirchturm seines Dorfes hinter einem Hügel aufsteigen sah, vermeinte er ein Geräusch hinter sich zu hören. Er drehte sich um auf dem Bock, und zwei Pferdeskelette, mit Gesichtern von Menschen, mit Schwänzen von Teufeln, trabten hinter ihm drein, und zwischen den nackten Rippen leuchtete das rote Herz und die blaue Lunge, schaukelte der stinkende Knäuel der Eingeweide.
Am andern Morgen lagen die beiden zerfleischten Leichen noch im Stall, und Herr von M., der zu lächeln versuchte, zu lächeln über den Ehrenkodex der roten Hengste, wäre fast ausgeglitten und gestürzt im schlüpfrigen Blut. Da ging er schnell ins Freie.
 


 
 
 



 

Drucknachweise und Anmerkungen:



 

S.73 Das Duell der Pferde
Zuerst erschienen in: Magdeburgische Zeitung, Nr.304, 18.6.1933

mit der Reproduktion des Holzschnitts von Hans Baldung Grien,
der B. zur Abfassung der Erzählung inspirierte. (»Kämpfende Hengste«)
Eine erste, stärker abweichende Fassung in: Stadtanzeiger für Köln und Umgebung, 30.9.1925, Beil. Von deutscher Art und Kunst, Nr.39. [E]
In Michael und das Fräulein (S.73-81) erschien eine gegenüber der späteren Buchfassung geringfügig abweichende Fassung, der die zahlreichen Nachdrucke zwischen 1928 und 1932 folgen.
Die erste Fassung weist folgende Abweichungen auf
S. 73, Z.2f: mit den Schwanzfeuerbränden E: mit den dunkelroten Schwanzfeuerbränden
S. 73, Z. 11: zwei Jahren E: fünf Jahren
S. 73, Z.28: noch zehn und mehr E: noch zwanzig und mehr S.74, Z.3: Sommerabend E: Sommerhorizont
S. 74, Z. 7-13: Wenn die Köchin [...] Mappenfisches. E: Wie die Köchin mit dem Messer dem großen Fisch zu Leibe geht, daß die glänzenden Schuppen hingestreut liegen, einzeln und viele flach übereinander, so öffnete Herr von S. einer Mappe den aufgedunsenen Bauch, tauchte die Hände hinein und zog sie zurück, aber nicht mit Blut beschmiert, nur weiße Blätter streute er herum, die Schuppen des Mappenfisches.
S.74, Z.26: Krachen von Hufschlägen hämmerte E: Krachen von Hufschlägen schlug wie ein Hammer auf den Kopf
S.74, Z.32f: der [...] Bettes stand. Fehlt in E.
S. 75, Z.13f: wie der Wasserstrahl [...] niederfällt. E: wie ein Wasserstrahl aus einem( Brunnenrohr hart niederfällt.
S. 76, Z. 15-18: versetzt [...] durch beides E: versetzt hat. Und ob es sich um den Studenten handelt
S. 76, Z.25f: gehorchten dem Gesetz [...] Volk E: erfüllten das Gesetz wie der Student
S.76, Z.27-3.5: Der Knecht [...] Gewoge E: Der Knecht riß die Tür auf, sah alles und lief quer über den Hof zum Herrenhaus
S.77, Z.7-10: Verzaubert [...] bis zum letzten. E: Verzaubert waren sie. Sie kämpften nicht.
S. 77, Z.3o - S. 78, Z.2: Als einer [...] hinter ihm drein E: Zwei Pferdeskelette, mit Gesichtern von Menschen, mit Schwänzen von Teufeln, je zwei Pferdeskelette trabten hinter dem Wagen
Das Duell der Pferde erhielt in den Rezensionen viel Lob; einigen Kritikern galt es als das Beste, was B. bis zu diesem Zeitpunkt geschrieben hatte. Um so bemerkenswerter ist die Gegenstimme des rheinischen Schriftstellers Emil Barth, der an dieser Erzählung Schwächen B.s in Stil und Sprachgebung exemplifizieren wollte:

[...] die abgründigste Erzählung, in einem intensiven Zusammenhang mit einem der stärksten Holzschnitte von Hans Baldung Grien komponiert - den Rossen im Wald - und verwandt der mittelalterlich-inbrünstigen, martervollen, sinnlichen Welt dieses Meisters, offenbart zugleich auch am deutlichsten Brittings Gefahren. Das Duell der Pferde heißt diese Erzählung und schildert in einer Sprache von unentrinnbarer Anschaulichkeit, wie die zwei Hengste Biß um Biß einander zerfleischen: jedoch das Maß, das Baldung in seinen Holzschnitten besitzt, die immer im Rahmen des Anschaubaren bleiben, ist hier bei Britting übersteigert worden, er ist darüber hinausgegangen: zu leicht geht das Wort über das Bild hinaus. Was die Zeichnung noch sagen kann, auch das Grauenvolle, kann für das Wort schon zuviel sein; wir haben nicht mehr den Eindruck einer reinen Darstellung, mag sie sich auch den Anschein erbarmungsloser Objektivität geben, sondern spüren eine Lust am Widrigen, eine Freude am Blutrünstigen, Ekligen und sind abgestoßen. Vielleicht weiß der Dichter darum, vielleicht hat sich aus diesem untergründigen Wissen von der Abgestoßenheit und Fluchtbereitschaft des Lesers sein Sprachstil ausgebildet, dem die Aufgabe gestellt scheint, in fortwährender, rasender Umkreisung gleichender Wiederholung der Satzglieder dem Leser, die kühle Zurückhaltung und die Besinnung zu rauben und ihn in atemloser Hetze und Jagd vorwärtszutreiben. Es besteht die Gefahr, ja sie ist ganz nahe, der Dichter ist ihr zum Teil schon erlegen, daß diese Sprache in der Manier der Bewegtheit erstarrt; sie braucht für die Zukunft einen Boden stillen Wachstums. Und auch den Vergleichen muß der Dichter neue Aufmerksamkeit schenken; jene gewisse Originalitätswütigkeit-ein deutsches Erbübel, das übrigens von falschen, zu früh erhobenen Originalitätsforderungen der Kritik bestärkt wurde -, jene Originalitätssucht, die der Sprache die lebendige Zukunft zu rauben droht, hat auch seine Vergleiche befallen: eine aufgeschlagene Mappe mit umhergestreuten Blättern heißt z.B. »ein Mappenfisch mit aufgeschlitztem Bauch (recte: Leib] « und die Blätter sind »Schuppendes Mappenfisches «. Oder es kommt zu unfreiwilliger Komik, wenn es von dem einen Hengste, als er den ersten Biß empfangen hat, heißt: »Ihm war wie einem Studenten«, vor welcher Komik es nicht mehr zu retten vermag, daß dann der Vergleich weiter ausgeführt wird: »wie einem Studenten, dem man einen Schlag ins Gesicht versetzt«. Das Ehrgefühl des Hengstes, das hier glaubhaft gemacht werden soll, ist zu sehr ein Ehrgefühl aus Natur, als daß es durch den Vergleich mit dem Ehrgefühl des Studenten, welches ein genau durch Konvention bestimmtes, zumeist auch noch eben erst erworbenes ist, anschaulich werden könnte.
(Der Mittag, 3.1.1934)