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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs

Band 3-2  Seite 387
Kommentar Seite 497

Aus: »Verstreute Prosa«


Bosnisches Mahl

Das Tischtuch war aus grobfädigem weißen Leinen, das Weiß war das Weiß eines vom Tabakrauch gebräunten greisen Bartes, getupft von verblaßten rötlichen Stellen, das war, weil das Tuch Rotwein geschluckt hatte, früher, oft schon, wer weiß wie oft! Da war es dann wohl betrunken gewesen und verrutscht und zerknüllt, in der aufgelösten Verfassung Bezechter, jetzt lag es ordentlich und nüchtern gebreitet da, aber auch die Rotweinspuren waren noch da, verwischt und verfärbt und verwaschen, aber sie waren noch da, wie auch Trinkerspuren bleiben in den Gesichtern der Menschen.
 Durch das Fenster sah ich den Kastanienbaum, sah seine großlappigen Blätter, die weißen, eitlen Blütenkerzen, sah den blauen Himmel darüber und mit Staunen immer wieder den kalkweißen, spitz zulaufenden Turm der Moschee, mit immer neuem vergnügtem Erstaunen, weil mir zu Kastanienbäumen nur christliche Kirchtürme zu passen schienen, aber hier vertrugen sie sich gut, Moschee und Kastanie, und einen grünen Schimmer von der laubigen Krone des Baums hatte das grobfädige Tischtuch vor mir und hatte auch das kalkweiße Minarett.
 Der Tisch war zum Essen gedeckt für mich, ich hatte den runden Tisch allein für mich, einfaches, weißes Geschirr stand bereit, Essig und Öl war da in Flaschen, auf einem blauen Teller lagen braungelbe Brotscheiben, in einer Glasschale häufte sich geriebener Käse, in einer großen Karaffe schimmerte dunkler Wein und in einer kleineren blitzte der helle Sliwowitz: das Mahl mochte beginnen.
 Zuerst, natürlich, das ist Landessitte, ich schloß mich nicht aus, ich tat es gern, zuerst natürlich trank ich Zwetschgenschnaps, den Sliwowitz, die Eßlust zu reizen, die Begierde zu stacheln, goß aus der Karaffe mir ein Schnapsglas voll von dem hellen, wasserklaren Getränk. Der Sliwowitz begleitete das ganze Mahl, schob sich zwischen die einzelnen Gänge und wie er den Anfang machte, machte er auch den Schluß. Ich wollte am Abend dieses Tages, da ich derart zu Mittag gespeist hatte, wie ich es hier und jetzt zu schildern versuche, einen Lobgesang auf den Sliwowitz dichten, ihm ein Preislied singen, ihn rühmen und verherrlichen, aber ich brachte es nur auf vier Zeilen und die sollen hier stehen:

Sliwowitz zuerst den hellen
Wasserweißen Zetschgengeist,
Sanft und mild und doch von grellen
Funkenbündeln übereist!
Ja, so schmeckt der Schnaps, schien mir, mild wie Milch und wie mit Eisnadeln stechend und glühend zugleich. Das Mundtuch über die Knie gebreitet, fester auf den Stuhl gesetzt, nun kam der erste Gang: Krainer Wurst in Teig gebacken. Krainer Wurst, rötlich dunkel, fett glänzend, bäuerisch derb hatte ich sie schon auf den hölzernen Verkaufsbänken der Agramer Metzger liegen sehen, vielfach gebündelt, nun, in Scheiben geschnitten, mit krachender brauner Teigkruste gepanzert, eröffneten sie mit einem kräftigen Klang, wie mit einem Paukenschlag, die Musik des Mahls. Der herbe schwarze Dalmatiner Wein schmeckte nicht schlecht dazu.
 Im tiefen Teller nun die Gemüsesuppe, ein Geschlinge und Gewirr und Gewoge von grünen Kräutern, bläulichen, moosigen Geflechten, gelbliche kleine Zwiebeln schwimmend dazwischen, und schwärzliche Gurkenscheiben, der geriebene Käse, reichlich darübergestreut, leuchtete hell. und trocken auf dem Gewirr wie neuer Sommerschnee auf grünen Alpenwiesen. Kunstvoll wollte diese Suppe gegessen sein, vom Löffel herab flatterten die Fäden, die Gurken brannten säuerlich am Gaumen.
 Einen blitzenden Sliwowitz dazwischen, jetzt kam der Hauptgang, und das war wie fast immer in Bosnien Hammel, wie man das so sagt, so obenhin, der unvermeidliche Hammel, aber es war gar kein Hammel, nicht schwarzbraunes, zähes, starkriechendes Hammelfleisch, es war Lammfleisch, Fleisch weiß wie Hühnerfleisch, es saß zart und locker, auf den weißen Knochen, die Haut bräunlich und rosa glänzend, wie ein Schimmer dünnen Glases, zart splitternd. Dazu gab es eine Schüssel grünen Staudensalates, nicht schon vorher angemacht, selbst mußte man ihn schütteln und rütteln und wenden und mischen, und Salz dazugeben und Essig und Öl nach gerechten Teilen.
 Und das stimmte gut zusammen, der kühlende kalte Grasgeschmack des Salates und das weiße, heiße, wollüstige Lammfleisch.
 Es war ein kräftiges Stück, das ich auf dem Teller hatte, nicht nur so ein Bißchen zum Naschen und zum Kosten, es war eine stramme, feste Mahlzeit, sich daran zu sättigen, sich den Bauch voll zu schlagen, daß ich schwer atmete, als ich den Teller leer hatte und gierig nun war auf einen Sliwowitz, der die fetten Lippen reinigte.
 Ich lehnte mich in den Sessel zurück und sah in den blauen Himmel, der nun noch strahlender blau war, (oder schien es nur so?) sah in das lichte, grüne Gewoge der Baumkrone, tief innen wars dunkel dämmernd, und das kalkweiße Minarett schoß wie ein Pfeil nach oben, nach einem unbekannten Ziel, aber es kannte es vielleicht.
 So war das Mahl, ein fast bäuerliches Mahl wars, aus einfachen und guten Gerichten bestehend, nichts Überspitztes, nichts Überfeinertes und Verschmitztes, keine ausgeklügelten Mischungen und seltenen Überraschungen, und so kam jetzt als Nachspeise Käse, eine kleine, bräunliche Kugel, es war Schafskäse, geräucherter Schafskäse, und das war ein Reiz besonderer Art, der sanfte ländliche Käsegeschmack und darüber hinschwebend, hauchend, leise beizend der Geruch des Rauches. Der bittere, schwarze,
starke Wein tränkte mich, und so schloß es wie ein Hirtenmahl.
 In kupfernen Kännchen mit langem Stiel brachte der Rufwärter den schwarzen Kaffee nun, türkisch zubereitet, das staubfeine Kaffeepulver schwimmt blasig obenauf, setzt sich langsam zu Boden und was sich nicht setzt, das trinkt man mit. Zugleich mit dem Kaffee war eine kleine Schüssel türkischer Süßigkeiten vor mich hingestellt worden, in grellen Farben, gelb, rot und blau, honigsüße, süßmarmeladige Würfel und Kugeln und Stangen, von einer übergrellen Süßigkeit, die fast schmerzend war.
 Die Karaffe schwarzen Weins war noch nicht leer und mußte leer getrunken sein, und so trank ich langsam und abwechselnd und den Blick auf dem Minarett im grünen Schimmer der Kastanie eins nach dem andern und sie vertrugen sich gut, störte eins das andere nicht, Kaffee und Wein und Schnaps.
 Dazu rauchte ich mazedonische Zigaretten aus schwarzem, rauhen, starken Tabak, und alles, was ich aß und trank und rauchte, war diesem Lande gemäß, das zwischen Morgen- und Abendland liegt, das noch vor fünfzig Jahren türkisch gewesen war, wo die Männer mit Fezen herumschritten, feierlich, und die Frauen verschleiert.
 So war das Mahl, im Schatten der Kastanie, im Angesicht der Moschee, mit Hammel, Wein, Kaffee, gezuckertem Honig und Tabak, das bosnische Mahl in Banjaluka.
(1930)
 



 
 
 
 


 
 

Drucknachweise und Anmerkungen:

S.386 Bosnisches Mahl
Nach dem Typoskript von 1930 (Stadtbibliothek München, Monacensia-
Abteilung). -
Zuerst in gekürzter Form erschienen in: Frankfurter Zeitung, Nr.725, 29.9.1930.
Eine leicht überarbeitete Fassung erschien 1935 in: Die Lesestunde (= Zeitschrift der Deutschen Buchgemeinschaft), 12, 1935, S.159 [Mai].
Gründlicher überarbeitete B. den Text 1938 und erweiterte ihn ein wenig für
die Anthologie: Erlebnis Dalmatien, hg. von Herbert Oertel [Mitarbeiter:
Gerhard Gesemann, Friedrich Bischofl; Georg Britting, Heinrich Voggen
reiter. Lichtbilder von Horst Hank Jentsch], Berlin: Wiking Verlag 1938,
S.146-154. [D] -Diese Fassung lag auch den zahlreichen Drucken nach 1945
zugrunde.
S.386, Z.16-19: weil mir zu Kastanienbäumen [...] Kastanie D: weil ich bisher der Meinung gewesen war, nur mit christlichen Kirchtürmen könne der Kerzentragende in Freundschaft leben, wie man das in meiner Heimat, in Bayern, oft antrifft, die Dorfkirche, vom Friedhof umschmiegt, im Schatten des Laubgewaltigen, ein tief vertrautes Bild. Aber siehe da, sie vertrugen sich auch, Allahs Moschee und der Baum meiner Kindheit
S.389, Z. 17-23: Wein und Schnaps. D: Wein und Schnaps, und freute mich sehr, kein Strenggläubiger zu sein, aber auch sie nehmen es nicht alle genau mit den Vorschriften, das hatte ich schon gemerkt. [/] Dazu rauchte ich mazedonische Zigaretten, aus gelbem, langfädigen, würzigen Tabak, und es war sogar geschmuggelter Tabak, den ich verbotener Weise und mit dem lästerlichen Gefühl des Sünders erhandelt hatte, aber es schmeckte deswegen nicht minder, schmeckte besser sogar, als der redlich erworbene. Und alles, was ich aß und trank und rauchte, war diesem Lande gemäß, das zwischen Morgen- und Abendland liegt, das vor wenigen Jahrzehnten noch türkisch gewesen war, von Beis und Paschas beherrscht, die dem Großherrn in Stambul unterstanden, wo nebeneinander das Kreuz und der Halbmond verehrt wurden, wo heute noch die Männer in Pluderhosen schritten, langsam und feierlich, und die Frauen sich verschleierten, wie die schon wankende Sitte es will.

S.390 Fahrt nach Skutari
[Ohridsee]
Nach dem Typoskript von 1930 (Stadtbibliothek München, Monacensia-Abteilung).
Zuerst erschienen in: Kölnische Zeitung, Nr. 158, 21.3.1931.
In den späten dreißiger und beginnenden vierziger Jahren erschien der Text meist u.d.T Montenegrinische Fahrt (etwa in: Volk und Welt, 1940, H.10, S.63f.: u. 73 [Oktober]).

S.395 Albanisches oder die Hühnerfahrt
In: Kölnische Zeitung, Nr.338, 25.6.1931. - Der Text wurde bis Anfang der vierziger Jahre immer wieder gedruckt, meist u.d.T. Die Hühnerfahrt.
Eine grundlegend überarbeitete, teilweise auch ergänzte späte Fassung aus den fünfziger Jahren erschien in AuE = Anfang und Ende u.d.T. Die Albanische Hühnerfahrt.
S.39,5, Z.28- S.396, Z.7: zwischen die geduldigen Hühner [...] war dann früh schlafen gegangen. AuE: zwischen die anderen Tiere. [/] Ich mag die Hühner nicht und scheue mich, sie anzurühren, und auch als Kind habe ich immer nur ungern eins auf den Arm genommen, wenn man es von mir verlangte, um mir die Zimperlichkeit abzugewöhnen. Den Hahn zu sehen in seiner Pracht, gefällt mir. Aber nichts lockt mich, ihn zu liebkosen: es ist eher Furcht, was ich vor ihm empfinde, wenn er einherstolziert, oder das Lachen kommt mich an! Und gerade mir nun sollte die Hühnerfahrt geschehen! S.397, Z.9 - S.398, Z.1: Wasser und Schlamm vom Skutarisee, Staub, grelle Sonne [...] Ich sah auf die Straße AuE: Wasser und Schlamm vom Skutarisee. [/] Nun kam die Landstraße. Die Gegend war flach und sumpfig, baumlos. Schwarze Wasserbüffel, bis zur Brust im Schlamm, drehten schwer ihre Köpfe her, und ein hoher, dunstiger Himmel wölbte sich. An einem schilfumgürteten Weiher fuhren wir vorbei, Wassergeflügel schwang sich auf vor dem Lärm unseres Wagens, und eine strohgedeckte Fischerhütte stand am Ufer, traurig und einsam. Die Fische in dem montenegrinischen Rijeka gestern kamen mir in den Sinn. Den breitnackigen, fetten Tieren hatte man durch die gelblichweißen Mäuler Weidenruten gezogen, und die Ruten endeten in einer zierlichen Schleife, daran man sie nach Hause trug. Auf den nassen Steintischen hatten sie gelegen, ohne sich zu rühren, und hatten vergeblich und quälend, auf und zu und auf und zu, Feuriges einatmend, die Mäuler geöffnet und geschlossen. [/] Die Knie taten schon weh, so unbeweglich, wie ich sie halten mußte. Vorsichtig schob ich den einen Fuß vorwärts, den anderen dann und rückte mich ein wenig zurecht. Ein großes, weißes Huhn, das zu oberst lag, starrte mich mit bösen Augen an. Die Tiere plusterten sich, und nur selten erscholl ein kurzes Gackem. Ich blickte nach vorn auf die Straße
S.398, Z.8-14: im Augenblick der Hinrichtung [...] nahte ein Reitertrupp AuE: im Augenblick der Hinrichtung. Als ich zurücksah, waren es drei Schlangen, die im Staub sich krümmten, und eine bäumte sich steil auf. [/] Die Sonne hatte den Dunst zerstreut, helles Licht lag über dem alten Land der Skipetaren - so nennen die Albaner sich. Beklemmend war die dumpfige Hitze der Tierleiber zu atmen. Ich hätte gern geraucht, aber als mich eben wieder ein Blick des weißen Huhnes traf, unterließ ich es. Zu meinen Füßen begannen zwei Hühner zu raufen. Ein zorniges Röcheln drang von unten her aus dem Berg, und da wurden auch die anderen Hühner unruhig, ein Flügelschlagen hob an, rauhes Ächzen tönte, der Hühnerberg bebte wie ein Vulkan vor dem Ausbruch. Aber der Ausbruch kam nicht, es wurde wieder geisterhaft still. [/] Dann war es: über die braunen Sumpfwiesen her kam ein Reitertrupp
S.398, Z.26-32: In kurzen Galoppsprüngen [...] Kurz darauf hielten wir in Alessio. AuE: In kurzen Sprüngen setzten sie vorbei, katzenhaft, ein großes Blitzen war, erschrocken-wilde Pferdeaugen, weißer Schaum auf Pferdeschenkeln, sommerlicher Schnee! Ein Apfelschimmel bäumte sich, einmal, zweimal, aber der Graubart, der ihn ritt, hatte ihn rasch wieder gebändigt und trieb ihn, der noch unruhig tänzelte, den Gefährten nach, die ins offene Feld hinaus sich entfernten. [/] Der mit der Lammfellmütze am Steuerblickte sich nach mir um, erhaben glänzte sein Gesicht, so hatte das Bild der Reiter ihn erregt. Dann deutete er mit der ausgestreckten Hand, an der ein schwerer, goldener Ring türkischer Arbeit saß, nach vom: aus der Ebene hob sich, noch weit von uns, ein spitzes Minarett. Das mußte Alessio sein, mein Ziel! Der Himmel war jetzt tiefblau. Ich versuchte das mürrische, weiße Huhn zu streicheln, aber es litt es nicht und hackte boshaft nach meiner Hand - wir waren nicht Freunde geworden! [/] Vor vielenjahren war das, und Albanien war dem König Achmed Zogu untertan, widerwillig. Die Bergfürsten gehorchten ihm nicht. Achmed Zogu lebt jetzt in der Verbannung, und die östlichen Machthaber gebieten von fern her über das stolze, kleine Land. Die Blutrache gilt dort noch. Alexander der Große, rühmen die Albaner sich, sei einer der ihren gewesen! Niemand weiß es genau, es ist schon zu lange her. Zu dem um 1929/30 vieldiskutierten Bild Albaniens vgl. aus deutscher Sicht vor allem Friedrich Wallisch: Der Atem des Balkan. Vom Leben und Sterben des Balkanmenschen, Leipzig: Dieterich 1928; ders.: Neuland Albanien, Stuttgart: Franckh 193 i. -Jugoslawien und Albanien waren in den zwanziger und dreißiger Jahren bevorzugte Reiseziele für deutschsprachige Schriftsteller und Publizisten, von Ernst und Friedrich Georg Jünger über Max Frisch bis zu Martin Kessel; zahlreiche Reiseberichte über Jugoslawien und Albanien erschienen in den führenden deutschen Tageszeitungen. - B. zeigte sich sehr beeindruckt und verarbeitete die Reise literarisch u.a. in der Erzählung Das treue Eheweib. - 1937/38 bereiste er noch einmal Jugoslawien. Zur Bedeutung der neuen landschaftlichen und kulturellen Erfahrungen für B. vgl. Haefs S.47f:

S.399 Welcher ist's?
In: Deutsche Allgemeine Zeitung, Nr.339-340, 29.7.1931.
Im Rechnungsbuch steht der Text mit dem »anekdotischen« Titel Der wahnsinnige Bürgermeister verzeichnet. B. hat ihn 1931/32 nur wenigen Zeitungen angeboten, gedruckt wurde er aber wohl lediglich in der DAZ. Allerdings hat B. später den im Kern expressionistischen Vorwurf, den er selbst zuvor schon mehrfach sich zu eigen gemacht hatte (vgl. in Bd.I Der Irre aus Der verlachte Hiob) und hier ins Anekdotische wendete, wieder aufgegriffen und in einer Episode seines nachgelassenen Eglseder-Fragments integriert (vgl. Bd.V).