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Drucknachweise und Anmerkungen 

Besprechung in dser "Frankfurter Anthologie" 
von Heinz Piontetek


Lieferbare Ausgabe:

Georg Britting
Sämtliche Werke  

Taschenbuchausgabe
in 23 Bänden

Band 6 »Der unverstörte Kalender«
Seite 12
Druckversion als Pdf-Datei

Editionsnotiz zu dieser Ausgabe




Georg Britting
Sämtliche Werke 
»Der unverstörte Kalender«   Band 4   Seite 224

© Georg-Britting-Stiftung - Alle Rechte vorbehalten /   zu den Rechten:
    .

Das weiße Bett

Die Spur im Schnee, ich kann sie nicht lesen, wie 
Es wohl ein Jäger könnte, ein Bauer auch:
Sie läuft zum Walde hin, der dunkel, 
Jenseits des Baches, das Wild verheimlicht.

Das weiße Feld, ein reinliches Linnen, glatt
Gespannt, ein frisch bezogenes Bett, das grad
Die Magd mit flinker Hand gerichtet,
Gilt den Verfolgten nicht sichre Zuflucht.

Der rauhe Wald, das dornige Dickicht, scheint
Den schnöd Gehetzten besserer Aufenthalt:
Aus weißem Bette holn die Jäger,
Holen die Häscher sich gern ihr Opfer.
 

Frankfurter Anthologie
Gedichte und Interpretationen
herausgegeben von Marcel Reich-Raniki
Frankfurt a. M.: Insel, 1976, S.132-134. 
 

HEINZ PIONTEK


JAGDSZENE AUS OBERBAYERN

Dieses Gedicht stammt aus dem Nachlaß Brittings. Es ist aber kein beiseite gelegtes, kein Nebenprodukt. Der Dichter selbst hat es noch für einen geplanten Band bestimmt. Britting gilt allgemein als deftiger Bajuware und Barocknatur. Wenige sind bisher auf seine feineren Züge gestoßen, beispielsweise auf die des »Römers« Britting. Ein beträchtlicher Teil seiner Gedichte ist in antiken Versmaßen geschrieben. Britting war ein ausgezeichneter Metriker. Römisch an seiner Poesie finde ich nicht bloß die künstlerische Strenge, sondern auch die Knappheit des Duktus, das Virile, Beherrschte, den kritischen Unterton.
Immerhin, »Das weiße Bett« könnte man auf den ersten Blick fast für ein Gedicht in freien Versen halten; es wirkt ungezwungen. Dabei setzt es sich - um ganz genau zu sein - aus drei alkäischen Strophen zusammen, von denen jede mit zwei elfsilbigen Versen eröffnet wird, worauf dann ein neunsilbiger und zehnsilbiger Vers folgen. Die Gewichtsverteilung, das Setzen der Zäsuren ist kunstvoll; man beachte, wie die beiden Daktylen am Schluß der ersten beiden Verse und die am Anfang des vierten einander aufwiegen. Genug von Finessen! Junge Kollegen vom Fach halten sie heute für unerhebliche Tüfteleien; ich muß hinzufügen: in Westdeutschland. In der DDR wird streng darauf gesehen, daß Nachwuchslyriker über die Grundlagen ihrer Kunst, wozu man selbstredend auch die Verslehre rechnet, Bescheid wissen. Doch zurück zu unserem Gedicht.
Keine problematische Sache, nein, bloß ein Jahreszeitenbild, eine Winterlandschaft, ein Stück Naturlyrik. Nur im ersten Vers taucht ein Ich auf: Jemand, der eine Spur im Schnee entdeckt, die er nicht lesen kann. Was sich daran anknüpft, wird »objektiviert«. Die Dinge müssen für sich selber sprechen. Hier machen Wald und Feld deutlich, wodurch sie sich unterscheiden. Nicht »an sich«, sondern ganz unmißverständlich für einen, der fliehen muß.
Das Gedicht hat von vornherein nichts Idyllisches. Ihm geht es um Jäger und Gejagte. Genauer: Es warnt sogar vor der Anziehungskraft des Idyllischen, bequem Schönen, das uns einlullen kann. Das weiße Feld: ein frisch bezogenes Bett! Wer gejagt wird, nimmt lieber den rauhen Wald, das dornige Dickicht in Kauf. Kaum haben wir uns auf die alte List der Verfolgten wieder besonnen, sehen wir uns mit einem pointiert politischen, zeitgemäßen Schlußbild konfrontiert: Die Häscher sind da, die ihre Opfer gern im Bett überraschen.
Das alles wird ruhig und gleichmäßig hingesprochen, ein Bild ergibt das andere, zielstrebig geht es vorwärts. Wer so konstatiert, nimmt nicht den kürzesten Weg, aber einen kurzen. Obgleich Britting von einer ländlichen Szenerie ausgeht, hat sein Wortlaut nichts bodenständig Schwerfälliges. Im Gegenteil, eine unauffällige Eleganz in der Sprach- und Versbehandlung macht sich geltend: eine, die sich durch Beherrschung der Mittel einstellt. Ich schreibe das Wort meisterhaft  hin, auch wenn man es heute nicht mag. Jedenfalls, hier braucht einer nicht großzutun, weil er es jetzt im Handgelenk hat.
Ich glaube, dieses Gedicht zeigt deutlich, wie oberflächlich diejenigen urteilen, die unsere Naturlyrik der zwanziger bis fünfziger Jahre pauschal als harmlos hinstellen. Andererseits freilich sollte man nicht vergessen: Was  Britting der Welt an Sinn abgewinnt, bleibt bis zuletzt  rein von allen weltanschaulichen Beimischungen. Nie kommt es aufdringlich daher. Ein Mann wie er weiß, was er weiß, ist aber kein Besserwisser. Seine Erkenntnis ist eingewebt in die Bilder seiner Gedichte, sie kann nicht als Reflexion herausgelöst und für sich genommen werden. Wer das versucht, zerstört das Gewebe des Gedichts.