zurück zum Inhaltsverzeichnnis
zur nächsten Prosa


Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band1 - Frühe Werke - Seite 16

Anmerkungen

Die Wahlenstraße

Die Sonne flimmert verträumt auf dem Pflaster. Ihr zitternder Schein ist schon dünn und blaß geworden. Herbstsonne ist müd, und schwach und kraftlos. Nur kurze Stunden des Tags läßt sie sich blicken, um bald, als ob sie sich ihrer Ohnmacht schämte, wieder zu verschwinden. Sie ärgert sich: Sonst flüchteten die Menschen, ihrer Glut zu entgehen, während sie nun mit Behagen die lind wärmenden Strahlen aufsuchen. ? Die Sonne hatjetzt ihre eigene Schönheit. Die ist wie das Lächeln einer frommen Nonne, die überwunden hat und Leid und Freud der Welt mit wehmütiger Anteilnahme, die über den Dingen steht, betrachtet. Sie webt den verklärenden Schein stillen, beschaulichen Sichbegnügens um alle Gegenstände, auf die sie fällt. Die alten Häuser in der Wahlenstraße gewinnen in ihrem Lichte Leben. Mit blassem Gold malt sie die Ecken aus, sorgsam und mit feiner Kunst. Die grauen, verwitterten Mauern erschimmern in Märchenglanz und der »goldene Turm«, der alte, finstere Geselle macht ein gar freundliches Gesicht, wenn die huschenden Strahlen ihn umspielen. ? Ein StückMittelalter verkörpert die Wahlenstraße. Die meist schmalen, gedrückten Häuser sind unregelmäßig gebaut und haben sich nicht einer geraden Linie anpassen lassen. Das eine guckt vorwitzig weit in die Straße, während das andere sich ängstlich zurückzieht. Der stolze Wehrturm, der schroff aufragt, der goldene Turm, beherrscht mit seiner wuchtenden Größe das ganze Bild, das in seinem bunten Reiz einen malerischen Ausschnitt aus Alt?Regensburg festhält, wie er echter und von wahrheitsgetreuerem Kolorit gar nicht sein könnte. Wer vom Kohlenmarkt her langsam die Straße heraufschreitet und den verschwiegenen Zauber und die Eigenart der Straße auf sich wirken läßt, glaubt sich ein paarjahrhunderte zurück versetzt. Es wäre gar nicht so erstaunlich, wenn aus einem alten Torbogen plötzlich ein züchtiges jungfräulein träte, mit Faltenrock und Riegelhaube und mit bescheidentlichem Augenaufschlag den Wanderer grüßte, oder ein bärtiger Stadtknecht mit klirrender Hellebarde einherstapfte. Es müßte schön sein, auf einem malerischen, mit Blumen geschmückten Balkon, wie die Straße deren mehrere aufweist, zu sitzen
und zu träumen, die Gegenwart um sich versinken zu lassen und alte Zeiten und alte Menschen heraufzubeschwören, um sie singen und sagen zu hören von denselben Leiden und denselben Freuden, die auch uns bewegen.