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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1 - Frühe Prosa -Seite 28

Anmerkungen
 

Martin Greif

Martin Greif ist tot. Mit ihm ging ein Dichter, der weltabgewandt, abseits von allen literarischen Fragen und Feind jedes Parteigezänks mit hoher Kraft und sicherem Formgefühl gestaltete, was sein schönheitsfrohes Auge sah und sein feingestimmtes Ohr erlauschte. Nie ist er in die weite Arena des Kampfes der widerstreitenden Ideen herabgestiegen, nie hat er es versucht, noch verstanden, die Aufmerksamkeit der großen Menge auf sich zu ziehen - immer ist er der stille, versonnene Sänger geblieben, der unbeirrt, ohne sich durch die wechselnden Strömungen und Richtungen des herrschenden Geschmackes aus seiner Bahn bringen zu lassen, seine eigenen Wege ging. Eben diese stolzbescheidene Zurückhaltung ist die Hauptursache neben seiner, dem Durchschnittsleser nicht mundenden Sprache, die ungezwungen und ungekünstelt, jedes leere Pathos und für den Augenblick verblüffende Bilderfülle verschmähend, in klarem, edlem Flusse dahinströmt.
Greif ist ein elementarer Lyriken.Die Knappheit und Prägnanz seines Ausdruckes läßt ihn immer rein, naiv und gesund wirken, weist auf das Volkslied und Goethe hin. Der bekannte Literaturhistoriker Bartels sagt von ihm: »Seinesgleichen werden wir nie entbehren können, wenn wir nach wie vor eine Dichtung wünschen, die auch dem Volke etwas sein kann, und er allein wiegt die ganze symbolische Lyrik unserer Tage auf « Seine Gedichte wirken wie ein frischer, klarer Quellbach, der durch rauschende Tannenwälder murmelt, ein gesunder, befreiender Hauch geht von ihnen aus, der in unserem überhastenden, hysterischen Zeitalter doppelt wohltuend wirkt. Eine Probe seiner Lyrik, die in sechs kurzen Zeilen die ganze Kunst des Dichters, seine scharfe Naturbeobachtung, das sichere Festhalten einer gewonnenen Stimmung, seine tiefe, innerliche Religiösität zeigt, ist die prächtige »Hochsommernacht«:
 

Stille ruht die weite Welt,
Schlummer füllt des Mondes Horn,
Das der Herr in Händen hält.

Nur am Berge rauscht der Born
Zu der Ernte Hut bestellt
Wallen Engel durch das Korn.


Greif, der Dramatiker, ist von weniger hervorragender Bedeutung. Zwar ist seinen zahlreichen Bühnenwerken (ich nenne als die hauptsächlichsten: Bayard, Prinz Eugen, Corfiz Ulfeldt, Agnes Bernauer, General York, Ludwig der Bayer usw.) objektive Gestaltungskraft und seelisches Erleben nicht abzusprechen, aber es fehlt ihnen der große Zug, der fortreißende dramatische Schwung. Nur vereinzelt kommen daher auch Stücke Greifs zur Aufführung. Der äußere Lebensgang des Dichters zeigt kein ungewöhnliches Menschenschicksal, sondern eine in ruhigen Bahnen fortschreitende Entwicklung. Martin Greif ist nur ein dichterischer Deckname, der Familienname ist Friedrich Hermann Frey. König Ludwig 11. gestattete durch Kabinettsorder vom 18. Februar 1882, daß der Dichter den Namen Martin Greif, neben seinem bürgerlichen Namen führen dürfe. Geboren wurde Greif als Sohn katholischer Eltern am 18. Juni 1839 zu Speyer. Sein Vater war Regierungsdircktor in Bayreuth und besaß den persönlichen Adelstitel. 1857 trat derjunge Frey ins bayerische Heer als Kadett ein und wurde zwei Jahre später zum Artillerieleutnant befördert. 1861 lernte er Frankreich und England kennen, 1867 schied er, da er seine dichterische Kraft, die er vorher verschiedentlich mit Erfolg erprobt hatte, wachsen spürte, aus dem Militärverbande aus. 1868 erschienen seine ersten Gedichte, ein schmales Bändchen von kaum 200 Seiten, die jetzt die siebente Auflage erreicht haben. 1902 gab er einen zweiten Gedichtband heraus: Neue Lieder und Mären. Greif lebte fast immer in München, wo auch die meisten Dramen entstanden. 1903 wurde er vom Prinzregenten zum Hofrat ernannt. Bis in die letzte Zeit hinein war der Dichter, abgesehen von den unvermeidlichen Schwächen seines Alters ganz wohl. Dann trat eine auffallende Verschlechterung ein und seit drei Wochen lag er im Spital zu Kufstein schwer krank darnieder. Sein Zustand machte eine OberRührung nach München unmöglich. Er litt an einer NierenaffektIon, der sich Wassersucht zugesellt hat. Später trat Blutbrechen ein, das den Kranken noch mehr schwächte. Heute vormittag wurde er durch den Tod von seinem Leiden erlöst.
Greif hat verfügt, daß seine Leiche nach Zangberg bei Ampfing nächst Mühldorf überführt und dort bestattet werde.
Der Dichter hat einen langen und schönen Lebensabend gehabt, die allgemeine Anerkennung seiner Persönlichkeit war im beständigen Steigen begriffen, er genoß, was er in seinem »Dichterwunsch« ersehnte:
 

Nicht des Alters Last, Natur,
Sollst du deinem Freund ersparen,
Eine Gunst gewähr ihm nur,
Wenn er wert, sie zu erfahren.

Sorge, daß ein Liedertraum
Bis zuletzt sein Haupt umflieget;
Wenn im Mai der Fliederbaum
Sich verjüngt in Blüten wieget.

 

[1911]