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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1 - Frühe Werke - Seite 50
                                                                                       siehe auch hier
Anfänge bei den
„Regensburger Neuen Nachrichten“

Anmerkungen
 
 Judith
Eine Tragödie in fünf Aufzügen von Friedrich Hebbel

Hundert Jahre sind es in diesen Tagen, daß in Wesselburen im Dithmarschen einem armen Teufel von Maurer, und seiner Frau Antje, ein Sohn geboren wurde, der auf den Namen Friedrich Hebbel getauft wurde. Und der dann eben das Leben eines Proletarierkindes lebte: in einer ärrnlichen Küche wohnte und spielte, in einer feuchten und dunklen Schlafkammer mit den Eltern zusammen schlief. Und früh hinaus mußte, um dem Vater auf dem Bau beim Ziegelfahren und Kalkrühren zu helfen.
Und aus diesem armen Jungen wurde ein großer Dichter, trotz der Entbehrungen, die sein Leben begleiteten und verbitterten, die er so lange nicht abschütteln konnte.
Die Versuchung liegt nahe, im Eifer einer Jahrhundertfeier einem Dichter mehr zu geben als des Dichters ist. Bei Hebbel braucht man diese Gefahr kaum zu befürchten. Viel zu wenig Freunde haben nicht nur seine einzelnen Werke gefunden: viel zu wenig weiß man bei uns auch, ein wie glühender, allumfassender Geist, ein. wie tiefgründiger unerschrockener Denker er war. Und noch etwas: er war einer von den letzten, die mit beiden Armen noch die ganze Welt umspannen wollten, einer von den letzten universalen Geistern in einer Zeit, die auch die Dichter zur Spezialisierung und Arbeitsteilung treibt.
Unser Stadttheater brachte gestern als Hebbelfeier eine »Judith«-Vorstellung heraus, die gut und abgerundet war. Wie der Dichter selbst »Judith«, sein geniales Jugendwerk aufgefaßt haben will, zeigt sein Brief an Madame Stich: »Judith und Holofernes sind, obgleich, wenn ich meine Aufgabe löste, wahre Individualitäten, dennoch zugleich die Repräsentanten ihrer Völker. Judith ist der schwindelnde Gipfelpunkt des Judentums, jenes Volkes, welches mit der Gottheit selbst in persönlicher Beziehung zu stehen glaubte; Holofernes ist das sich überstürzende Heidentum, er faßt in seiner Kraftfülle die letzten Ideen der Geschichte, die Idee der aus dem Schoß der Menschheit zu gebärenden Gottheit, aber er legt seinen Gedanken eine demiurgische Macht bei, er glaubt zu sein, was er denkt. Judentum und Heidentum aber sind wiederum nur Repräsentanten der von Anbeginn in einem unauslösbaren Dualismus gespalteneu Menschheit?, und so hat der Kampf, in dem die Elemeine meiner Tragödie sich gegenseitig aneinander zerreiben, die höchste symbolische Bedeutung, obwohl er von der Leidenschaft entzündet und durch die Wallungen des Bluts und die Verirrungen der Sinne zu Ende gebracht wird. «
Die Aufführung des Werkes an unserer Bühne verdient vortrefflich genannt zu werden, vor allem deshalb schon, weil die zwei Hauptrollen des Stückes so ausgezeichnet besetzt waren. Frl. Magda Lena spielte die Judith. Die Künstlerin, von ihrem Engagement an unserem Stadttheater her noch in bester Erinnerung, ist sicher ein Talent, eine künstlerische Individualität, besitzt Eigenart und starkes Können. Es ist erstaunlich, was sie in den zwei Jahren, seit sie von hier fort ist, gelernt hat. Trotz ihres spröden Materials weiß sie volle und starke Wirkungen zu erzielen. Ihre Judith, die vielleicht etwas großliniger hätte angelegt sein dürfen, hatte Kraft und Temperament und vermochte zu Überzeugen.

[1913]