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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Wilhelm Haefs
Band 3-2
Seite 414
Kommentar
Seite 511
Aus: »Verstreute Prosa«
Judas Perlachinger
Die Donau
strömte breit und grün, nur ein Strudel manchmal wallte schwarz
auf, lief eilig, sich drehend, und rascher als die gelassenen Wellen neben
ihm und verging wieder. Die Berge der Wachau lagerten wie mächtige
Tiere an den Ufern, die mit Wald besetzten riesigen Igeln vielleicht zu
vergleichen, die Weinberge aber sahen wie behaglich hingestreckte Löwen
aus, so, als trügen sie Löwenmähnen, nicht die verfilzten
und struppigen Haarmähnen lebender Tiere, sondern die sorgsam geordneten
und beruhigt nebeneinander gelegten starren Locken aus Metall, wie sie
die alten Künstler ihren Tierstandbildern geben. Und der Kirchturm
aus grauem Stein, der in kühnen Windungen gierig nach oben sich schraubte,
wie ein Korkzieher, scherzte jemand, wie um den Himmel anzubohren, daß
der himmlische goldblaue Lichtwein fließe, er konnte auch eine lustig
gezackte Felsnadel sein, so ähnlich waren hier die Gebilde der Natur
denen der formenden Menschenhand.
Der weißhaarige,
grauschnauzbärtige Kirchendiener, er trug aber eine dunkle Mönchskutte
keineswegs, sah wie ein Jäger vielmehr aus, mit nackten Knien, mit
krummer Haltung, kleinen listigen Jägeraugen im braungegerbten Gesicht,
der jägerische Kirchendiener kam über den Platz her, und die
Schlüssel schwang er, daß sie klapperten im großen Eisenring,
und sperrte die Kirche auf und ließ die Gäste ein und trat als
letzter höflich ein und beugte tief das nackte Knie vor dem Altar
und schlug fromm das Kreuz, bevor er begann mit der Führung. Seine
Erklärungen, die gelehrten, kunstwissenschaftlichen Wendungen und
schwierigen Fachausdrücke, die er aber ganz richtig anwandte, nahmen
sich wunderlich genug aus in der Mundart des Alten. Den Meister jeder holzgeschnitzten
Bank nannte er beim Namen, von jedem Eisengitter wußte er, wer es
geschmiedet hatte, und dem Namen jedes Meisters fügte er hinzu: von
drüben, von Mautern, oder er sagte, der Maler da, von Krems droben,
und der Schnitzer hier, es ist der Vater des Malers, von dem das Altarbild
stammt, der ist drüben in Rossatz gestorben, und das klang alles so
vertraut und gegenwärtig, als hätten die Meister noch gestern
gelebt und er hätte sie alle noch gekannt und lagen nun doch auch
schon seit fast zweihundert Jahren in ihren Särgen, längst vermodert
und in Staub zerfallen.
Er wußte gründlich
Bescheid, merkte man, der Alte, und auch Antwort auf jede eindringendere
Frage, und als er vor einer holzgeschnitzten Kreuzigungsgruppe sagte, die
drei vordern Figuren seien vom Meister Kandler von Spitz, die andern später
hinzugefügt, man wisse nicht von wem, und ein Vorwitziger, der wohl
meinte, je älter, desto besser, antwortete, das sähe man deutlich,
die seien ja viel schöner, sah er ihn mit einem kurzen Blick fast
hochmütig lustig an und meinte, der Geschmack sei verschieden, und
dem einen gefalle das und dem andern das andre, aber er halte die jüngere
Arbeit für die bedeutendere. Die Haltung! Schaun's die Haltung an!
sagte er zweimal und fuhr leise und zärtlich eine Falte des Gewandes
herab, und sein Gesicht strahlte.
Aus dem Goldjubel und
dem weißen Stuckglanz der Kirche führte der Alte dann die Besucher
über ausgetretene finstere Steinstufen in die dunkelnde feuchte Gruft,
wo die Äbte und Mönche des Klosters, das einst zur Kirche gehört
hatte, begraben lagen. Die Gräber waren in die Tiefe der Wand eingelassen,
und mächtige, glatt gehauene Steinplatten, die keine Inschrift trugen,
leer und lautlos herblickten, unsäglich verstummt, verschlossen sie.
Von fünf der Gräber waren die Platten entfernt, sie lagen aufeinandergetürmt
in einer Ecke des Gewölbes, und die leeren Nischen gähnten schwarz.
Hier, erzählte der
Alte, hätten Soldaten gehaust, 1805, als in der Nähe - ein Denkmal
stehe heute noch dort - auf den Höldrichshängen über der
Donau ein Gefecht stattgefunden habe, zwischen den Franzosen und den vereinigten
österreichischen und russischen Truppen. Hier, sagte der Alte, in
den jetzt leeren Nischen, seien tote Äbte gelegen, die mit ihren kostbaren,
edelsteinbesetzten Ringen, dem Zeichen ihrer Würde, begraben worden
waren, und eben diese geweihten Ringe wollten sich die Franzosen an die
eignen unheiligen Finger stecken, und sie hätten die toten Äbte
deswegen aus ihren steinernen Kammern geholt, während sie die Steinkammern
der ganz und gar gewöhnlichen Mönche in Ruhe gelassen hätten,
die hätten ja keine Ringe, im Leben nicht und nicht im Tode, und auf
die Ringe natürlich und nicht auf die morschen Knochen hätten
es die Franzosen abgesehen gehabt. Und auf die Frage, woher denn die französischen
Grabräuber gewußt hätten, wo die Ringeträger lagen
und wo die Männer ohne Fingerschmuck - auf den steinernen Grabtafeln
stehe ja kein Wort, kein Name und keine Würde -, antwortete der Alte,
das sei ihnen natürlich verraten worden.
Die Führung ging
weiter, durch hallendes Gewölb und uraltes Mauerwerk, denn wo jetzt
die neue Kirche sich erhob, seit zweihundert Jahren nun auch schon wieder,
war früher eine andre Kirche gestanden, und das hier, erklärte
der Alte, seien ihre Grundmauern und Steinkeller. Man schlug einen Bogen
in den finstern Gängen und kam auf dem Rückweg wieder in das
Grabgewölbe der Mönche, wo die leeren Löcher der geschändeten
Gräber noch die Räuber stumm anklagten.
Schufterei! sagte einer,
und: Gemeiner Verräter! und: Warum hat der Kerl das denn getan? Der
Alte warf einen schnellen Blick auf den Sprecher und sagte: Vermutlich,
um am Gewinn beteiligt zu werden! So sagen manche, so sagen die Leute von
Rossatz drüben. Er deutete mit dem Kopf hinüber nach Rossatz,
das von hier in der Gruft aus ja nicht zu sehen war, aber manche der Besucher
erinnerten sich, Rossatz gesehen zu haben vorhin, das am andern Ufer der
Donau lag. Die Rossatzer sagen so, sagte der Alte, aber wir hier am Ort
haben unsre eigne Meinung von dem Fall. Unser Förster war's, der Perlachinger,
der so judasmäßig getan hat. Man hat gesehen, wie er mit den
Franzosen aus dem Wald heraus kam, man hat gesehen, wie er den Rothosigen
den Weg zeigte, auf die Kirche zu, aber an der Kirchentür vorbei und
gleich in die Gruft hinab. Sie waren nur eine halbe Stunde in der Gruft,
der Perlachinger und die Soldaten, dann mußten sie weg, weil drüben
den Berg herunter schon die ersten russischen Plänkler kamen. Da mußten
sie schleunigst weg, drum konnten sie nur die fünf Platten wegreißen,
die sechs andern hier sind unverletzt, da liegen die Männer mit den
goldenen Ringen ungestört bis heute.
Wir hier im Ort sagen,
sagte der Alte zuversichtlich, und wir können uns seine Tat sonst
nicht erklären, daß der Förster Perlachinger die Franzosen
in die Gruft geführt hat, schlauerweise, um zu vermeiden, daß
sie schnurstracks in die Kirche liefen, um die goldenen Altargeräte
zu stehlen, daß er sie gierig auf die Ringe machte, um größern
Raub zu verhindern, denn gar so wertvoll, wie er das den Franzosen vorgestellt
haben mag, waren die Ringe doch nun wieder auch nicht.
So haben wir uns das zurechtgelegt,
wir hier am Ort, sagte der Alte, und sah uns alle fest an. Der Perlachinger
war ein guter Mann, war immer ein guter Mann gewesen, und so ein Teufelsschuft
war nicht unter uns.
Der Alte sprach vom Perlachinger,
als habe er ihn noch gekannt, und der hatte doch seine Tat, ob sie nun
bös war oder gut, vor hundertdreißig Jahren getan, sprach von
ihm, wie er von den Schnitzmeistern und Malern und Goldschmieden vertraut
gesprochen hatte vorhin, wie von atmenden Männern, und waren alle,
die Guten und die Bösen, längst atemlos und ohne Herzschlag.
Ja, was der Perlachinger
denn selber gesagt habe, später?
fragte einer. Der Perlachinger,
sagte der Alte, der habe nichts mehr gesagt, kein Sterbenswörtlein,
der habe nichts mehr erklären können, weil ihn niemand gesprochen
habe, seitdem.
Die von Rossatz drüben,
er nickte wieder mit dem Kopf hinüber nach dem unsichtbaren Rossatz,
die sagen, er habe sich natürlich nicht mehr zurückgetraut an
den Ort seiner Verräterei, und, sagen sie, er habe mit den Franzosen
den Raub geteilt und habe sich dann unsichtbar gemacht. Vielleicht auch,
sagen die in Rossatz drüben, daß ihn die Franzosen im Wald totgeschlagen
haben, um ihm nicht einen der kostbaren Ringe abgeben zu müssen, und
vielleicht auch, daß er sie nicht an ihre Offiziere wiederum verraten
könne. So einem Judas kann man alles zutrauen, und verboten war's
den Franzosen ja auch, zu plündern, sie taten's aber doch, das weiß
man hier in der Gegend.
Und, sagte der Alte, die
damals den Perlachinger abziehen sahen in der Mitte des französischen
Trupps, mehr wie einen Gefangenen denn einen Führer, die hatten ihn
zum letztenmal gesehen, er kam nicht wieder, ob er nun totgeschlagen worden
ist im Wald und verscharrt, ob er außer Landes ging, weil er fürchtete,
daß man ihm zu Haus doch nicht glauben würde. Aber wir hätten
ihm geglaubt!
Die Äbte, sagte der
Alte noch, die man so schmählich aus ihrer Ruhe gestört hatte,
wurden dann später feierlich unter dem Altar der Kirche beigesetzt,
und da liegen sie heute noch. Der Bischof von Linz kam eigens dazu in einem
Prunkschiff die Donau herabgefahren, und wenn das Schiff an einer Ortschaft
vorbeikam, läuteten alle Glocken, und weißgekleidete Schulkinder
sangen dem Schiff nach, und wo auch das Schiff vorbeikam, auf den Straßen
und Feldern und Weinbergen, knieten die Leute sich hin, und der Bischof
gab allen Frommen seinen Segen. Vorn am Schiff brannte eine riesengroße
Kerze, die verlosch nicht von Linz bis hierher und brannte noch zwei Tage
am neuen Grab der Äbte, und daß die nun ohne Ringe dem jüngsten
Tag entgegenschlafen, macht ihnen wohl nicht viel aus. Es wurde übrigens
ein paar Jahre später das Kloster aufgehoben.
Die Führung war zu Ende,
der Kirchendiener beugte sein
Knie wieder vor dem Altar, schlug
langsam und ausdrucksvoll das Kreuz und nahm gelassen dann als Trinkgeld
Kupfer und Nickel. Die Besucher traten aus dem Dämmer der Kirche ins
volle Licht des Tages. Da lagen die Hügel der Wachau und glänzten
freudig in der Sonne, die Donau blinkte grün herauf und von Rossatz
herüber schlug die Turmuhr drei dunkle Schläge.
[1933]