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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
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Band 5  Seite 173
Kommentar Seite 398

Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«


Der Fisch

Auf der kleinen Donau-Insel, vom Altwasser und dem eigentlichen Strom gebildet, stand eine morsche, braune Holzhütte. Die Insel war nicht viel größer, als daß gerade diese Hütte auf ihr Platz hatte, und ein krummer, alter Weidenbaum, der seine Zweige auf sie legte. Das Eiland war mit Gras und Brennesselstauden bewachsen, und von der Uferstraße führte ein schmaler Holzsteg zu ihm, wacklig war er, ein paar Bretter bloß. Auf der Hütte war ein Holztürmchen, indem eine kleine Glocke hing. Ich ha-be nie gehört, daß sie geläutet worden wäre. Weiter drau-ßen brauste der Strom. Dort rüttelte an einer eisernen Ket-te eine Fischerzille. In der Hütte hauste einsiedlerisch und weltverborgen der Fischer-Jakl. Alt war er und ging ge-bückt, und vor allem: er hinkte, daß es ein Greuel war anzusehen. Der Jakl hatte brennrotes Haar auf dem Kopf, mit weißem gemischt, und ums Kinn trug er ein wirres, räuberhaftes Gestrüpp starrender Borsten. Das sah wüst aus, und der Jakl pflegte sich auch sonst wenig. Unor-dentlich und ungescheitelt hing ihm das Haar tief in die Stirn herein. Er war seit langem Witwer, hatte mein Vater einmal gesagt, und ich vernahm es staunend, daß der Jakl je eine Frau gehabt haben sollte, der rote Teufel!
Oft wenn wir der Donau entlang unsere Streifzüge mach-ten, sahen wir den Einsiedelmann vor seiner Hütte. Grün war die Insel, recht verwildert, die Weidenäste zitterten im leichten Wind, es war wie auf Robinsons Insel, dort wo er war. Mit dem Kleinmachen von Brennholz sahen wir ihn beschäftigt, schnell und gewandt das Beil schwin-gend, oder, und das war fremdartig und aufregend für uns, er briet überm offenen Feuer am Holzspieß sich ei-nen Fisch. Sicher ein Hecht! wisperte einer von uns. Noch sehe ich, wie das Feuer, das sonst doch dunkelrot brennt, am hellen Tag durchsichtig und rosa loderte, und ein hellblauer Rauch wirbelte empor. Es geschah dann wohl, daß ein Mutiger unter uns einen Stein auf den alten Mann warf. Und wenn der auch nicht traf, so hatten wir doch die Genugtuung, den Jakl sich aufrichten zu sehen, die Hand vor die Augen halten, nach dem Übeltäter spähen und das Beil nach dem unsichtbaren Werfer drohend schwenken.
Dann brachen wir hinter den Bäumen, die uns deckten, in ein johlendes Gelächter aus, ihn zu ärgern, und um unse-re Furcht zu beschwichtigen. Ich war nie so frech, auch einen Stein zu werfen, aber in das Gelächter stimmte ich jedesmal aus vollem Halse ein. Wenn wir ihm auf der Uferstraße begegneten, was selten der Fall war, meist am Freitag, dem Fasttag, und er auf dem Schubkarren in ei-ner Holzbütte, von der es naß tropfte, seine Fische zum Markt brachte, beachtete er uns nicht, obwohl er in uns die steinwerfenden Feinde vermuten mochte. Gleichmü-tig schob er seinen Karren dahin, stärker hinkend als sonst, und wir gingen, aber im gehörigen Abstand, hinter ihm drein. Auf ein verabredetes Zeichen, eins, zwei, drei! zählte unser Anführer halblaut, schrien wir plötzlich los wie die Wilden. Das Gelächter mußte ihm bekannt vor-kommen, und dann sah er sich wohl auch nach uns um. Und einmal, als er sich wendete, war mir, er fasse gerade mich fest ins Auge. So streng ruhte sein Blick auf mir, daß ich hätte rufen mögen: Ich hab nie einen Stein geworfen! Unvergeßlich war mir dieser sein Blick, unter den buschi-gen, roten Augenbrauen her, und mir schien, auch ich sei ihm unvergeßlich, und unter Tausenden würde er mich wiedererkennen!
Einige Zeit darauf, es war spät im Jahr, mußte ich ihm ganz allein gegenüberstehen. Es mag zu Ende des Sep-tember gewesen sein, mit noch sommerlich heißen Tagen, und an einem Nachmittag, gegen den Abend schon zu, hatte sich ein Wind erhoben, ein Sturm war es. Schwarz hatte sich der Himmel bedeckt, und die Kastanienbäume an der Uferstraße orgelten gewaltig. Wir wohnten nicht weit davon. Als ich das Unwetter heraufziehen sah, war ich in den Keller gegangen, den alten, gelben Blechkübel zu holen, den ich dort stehen wußte, und hatte mich eilig zu den Kastanienbäumen aufgemacht. Am Himmel zuck-ten die Blitze, der Donner rollte, aber es regnete nicht. Und von den Bäumen fiel, wie ich das erwartet hatte, ein Geprassel von Kastanien. Der Wind rüttelte an den Bäu-men, die Äste krümmten sich und knirschten in den Ge-lenken, und abgerissene Zweige und Blätter bedeckten den Boden. Auch ein Vogelnest lag auf der Straße, grau-filzig. Das wäre zu anderer Zeit ein willkommener Fund gewesen, aber jetzt galt meine Begierde nur den fallenden Früchten, die ich in den Blecheimer, in dem einmal Schmalz gewesen war, zu sammeln begann. Die Hölle war losgelassen, schien mir, wenn ich nach oben sah, in das wildgewordene Geäst. Grell wie von Feuern flammte es durch das grüne Dunkel. Die Bäume peitschten mit den Ästen aufeinander ein, ein schallender Kampf der Riesen. Manchmal war mir, bösartige Affen oder wilde Waldmänner säßen in den laubigen Gewölben. Und sie bewarfen mich mit Kastanien. Es prasselte auf mich her-unter, die grünen Stachelkugeln zerplatzten auf dem Bo-den, und die braunen Früchte sprangen aus den Schalen und kollerten davon. Schneeweiß und unberührt schim-merte die Innenseite der Schalen, weiß war auch die Un-terseite der Früchte, wie mit Mehl zart bestäubt. Und es regnete nicht, keinen Tropfen, und die Hitze war groß. Die Kastanien trafen mich am Kopf, auf die Schultern, auf die Hände. Manche sprangen vom Ast mir gleich in den Kübel. Der Wind packte das abgeschlagene Grünzeug, das auf der Straße lag, und wehte es dahin. Auch das Nest nahm er mit. Ich sah ihm nach, wie es in Sprüngen davoneilte, drehend sich bis zur Mannshöhe hob, und wie es dann im Geäst eines Baumes verschwand und so wie-der dort war, wohin es gehörte, im Baumlaub. Mein Blecheimer füllte sich rasch, ich hätte zwei haben können, sie wären vollgeworden. So ging der Aufruhr eine Weile. Wenn ein wütender Windstoß fauchte und mich fast umwarf, schrie ich vor Vergnügen und schwieg dann wieder, wenn der Himmel über mir einzustürzen drohte. Er stürzte nicht ein. Und kein Regen fiel, es tobte das trockene Gewitter, und Staub verklebte mir die Nase und die Augen. Als es anfing, ruhiger zu werden in den Lüf-ten, hatte ich meinen Eimer randvoll. Wie aus einem wir-ren Traum erwacht, sah ich mich um, und in der Stille nun, die mich umgab, sah die grüne Verwüstung nur noch gräßlicher aus. Ich fürchtete mich ein wenig. Und dann hatte ich wahrhaftig und wirklich Grund, mich zu fürchten. Auf der Straße daher, auf der ich die ganze Zeit allein gewesen war, kam ein Mann gegangen. Er hinkte und trug in einem Netz Fische mit sich: es war der Fischer Jakl. Plötzlich stand ich vor ihm, in der Hand am Henkel den Kübel, und lieber wäre ich vor einem der Waldmän-ner gestanden, die mich aus den Bäumen mit Kastanien beworfen hatten, als vor ihm. Er sah mich scharf an, und ich wußte gleich, daß er mich wiedererkannt hatte. Sein rotes Haar leuchtete, greller als die Blitze vorher. Er sagte nichts und blickte mich nur an. Ich hatte sein Gesicht noch nie aus solcher Nähe gesehen. Die rotgrauen Stop-peln umgaben sein Kinn, seine Augen bewegten sich nicht, so lang er mich ansah und ich ihn. Sein Anzug war abgeschabt und mit großen Stichen geflickt und nicht ganz sauber, und Schuppen klebten an seinen Ärmeln. Die Bäuche der Fische in seinem Netz blinkten in matter Weiße.
Da hatte ich einen rettenden Einfall. Den Eimer mit Ka-stanien hob ich ihm entgegen und sagte, und wunderte mich, daß meine Stimme nicht bebte, ganz klar klang: »Willst du sie haben?« Er lachte nicht und sagte nichts, den Blick nicht von mir wendend. Ernahm mir den Kübel aus der Hand, hielt ihn hoch, an die Nase, und roch an den Früchten. Ich sah, daß ihm Haare aus den Nasenlö-chern wuchsen, und es war mir neu, daß die Kastanien einen Duft haben sollten, wie Veilchen etwa, oder Nelken. Ersetzte den Eimer dann neben seinen Füßen nieder, öff-nete das Netz, griff hinein und holte einen großen Fisch heraus, ein Rotauge, erkannte ich. »Nimm den!« sagte er. Seine Stimme war wie von jemandem, der selten spricht. Ich nahm den Fisch, der so naß und kalt war, daß es mich schauderte, und weil er mir zu entgleiten drohte, faßte ich auch noch mit der anderen Hand zu. So stand ich, den Fisch in beiden Händen vor der Brust haltend, und wagte nicht, mich zu rühren. Ich brauchte ihn nicht an die Nase zu heben wie er die Kastanien: ein Geruch von Wasser und Schilf drang zu mir empor. Er hing sich dann das Netz mit den Fischen wiederum die Schulter, nahm mit der linken Hand meinen Eimer, und mit seiner rechten Hand faßte er mich am Ohr. Seine Finger waren hart und rindig. Er begann, mir das Ohr zu drehen, es zu reiben und zu quetschen und daran zu reißen, und dann zog er mich an ihm hoch, daß ich mich auf die Zehen stellen mußte, um es nicht zu verlieren. Es tat mir weh, sehr, aber ich jammerte nicht, keinen Laut gab ich von mir, vielleicht ächzte ich ein wenig, das kann sein. Lange dauerte die Folter. Und als ermein Ohr dann losließ, hatte ich eine feurig glühende Stelle am Kopf, und die Stelle glühte noch lange. Meinen Kübel am Henkeltragend, hinkte er davon, der Folterknecht, ohne ein Abschiedswort, mit den Füßen das grüne Laubzeug wegschleudernd, das herum-lag.
Er war meinen Augen entschwunden, und ich stand noch immer am gleichen Fleck, den eingetauschten Fisch in den Händen. Ich betrachtete seinen gelblichweißen Unterleib und seine mit einem roten Hornring umgebenen Augen, daher er seinen Namen hat. Der Fisch war glitschig, und ich mußte ihn krampfhaft umklammern, daß er mir blei-be. Ihn vor mir hertragend, machte ich mich auf den Heimweg. Es war heller geworden, schon kam die Sonne, und die Donau glänzte grün her. Ober der kleinen Kirche mit den Zwiebeltürmen, jenseits des Stromes, auf einer Anhöhe, hatte sich ein ungeheures Schauspiel aufgetan. Die abziehenden Wolken waren dort versammelt. Grün und rosa kreisten und wirbelten sie, in unaufhörlicher Bewegung. In allen Formen und Farben zeigten sie sich, lang gestreckt und zipflig-flatternd wie riesige Fahnen, und runde waren dabei, üppig gebauscht, und glühten mächtig wie Pfingstrosen. Hoch über dem Gewimmel hüpften kleine, weiße, fedrige Bälle und zerplatzten und bildeten sich wieder. Schweflige Lichtbahnen schossen in ein aufgerissenes Blau, und daneben wars wie eine zarte, grüne Wiese. Grün und rot und gelb, das wogte durch-einander, lieblich und unheimlich leuchtend, daß einem das Herz wehtun konnte vor lauter Sehnsucht. Die keinen Regen hatten bringen können, machten es nun mit einem Farbenspiel gut. Auch die kleine Kirche bekam davon ab. Der eine Zwiebelturm war schwarz, der andere brannte kupferrot. Und die Sonne sah zu, wie alles Gewölk schäumend und strudelnd nach Osten abzog.
Der Fisch in meinen Händen wurde immer schwerer. Ich hätte ihn den Wolken mitgeben mögen. Ich schämte mich, wenn Vorübergehende mich mißtrauisch ansahen. Da kam von der steinernen Brücke her mein Freund Martin auf mich zu, hüpfenden Ganges, wie immer. Martin saß in der Schule neben mir auf der Bank. Er hatte keinen Va-ter, hieß es von ihm, er hatte nur eine Mutter, die war Zu-gehfrau. Immer war er sauber gewaschen, hatte ein run-des Blasengelgesicht, und wenn er lachte, zeigte er vor-stehende, weiße, kleine Mäusezähne. Er lachte oft. Auf seine Pausebrote, die er in die Schule mitbrachte, sahen wir verlangend, so üppig waren sie oft mit Wurst und Käse belegt, und er ließ gern davon abbeißen: knauserig war er gar nicht! Vor ein paar Tagen erst war es gesche-hen, daß ich gemeinsam mit ihm fürstlich gespeist hatte, vor einer Haustüre stehend, auf der Straße.
Es wurde, hatte mir Martin augenzwinkernd erzählt, in einem wohlhabenden Bürgerhaus zu einer Hochzeit ge-rüstet, Hasen wurde das Fell abgezogen, Gänse wurden gerupft, das Zinn mit schwarzem Zinnkraut geputzt, Schüsseln und Kannen blankgerieben, Teppiche geklopft und die Zimmer gestöbert, und seine Mutter war dabei unentbehrlich, und ohne sie wäre alles durcheinander ge-raten. Und weil sie sich während dieser stürmischen Wo-che tagsüber nicht um den Sohn kümmern konnte, brach-te sie ihm, das wieder gutzumachen, allerlei Leckerbissen, fürs Fest schon vorbereitet, ans abendliche Bett. An dem großen Tag selber hatten Martin und ich der Anfahrt der Hochzeitskutschen zugeschaut. An der Spitze kam ein Schimmelgespann, darin die Neuvermählten saßen, mit blassen Gesichtern, und die Schimmel hatten nickende Blumensträuße am Kopfgeschirr. Und Wagen auf Wagen fuhr vor, denen vornehme Herren entstiegen, im Frack und den spiegelnden hohen Hut auf dem Kopf, und Frauen in herrlichen Kleidern, mit nackten Schultern, aber manche hatten ein Seidentuch darüber gebreitet. Die also Prangenden gingen ins Haus, die Damen mit gerafften Schleppen, und wir wußten, nun begannen sie zu tafeln, auf damastenen Tischdecken. Wir tafelten mit: nicht bloß so in Gedanken und neidischen Träumen, nein, wirklich! Und die damastenen Tischdecken vermißten wir nicht!
Schon nach einer kurzen Weile erschien des Freundes Mutter unter der Haustüre und brachte uns auf einem Teller von den Vorspeisen. Es waren seltsame Dinge da-bei, die ich nicht kannte, eingemachte Fischchen, Krebs-schwänze, Pasteten und so was, und sie schmeckten uns. Martin, im Schlemmerwesen bewanderter als ich, wußte Namen und zu nennen. Wir hatten den Teller noch kaum leer gegessen, als die treubesorgte Mutter schon wieder kam und uns zuraunte: hoch ginge es her! und uns eine kleine Schüssel gab, gefüllt mit ich weiß nicht was allem, Hasenbraten war dabei, verriet mir Martin, und ein paar goldgelb Hühnerbeine, die erkannte ich selber, und unse-re Taschenmesser wurden fett, und unsere Finger auch. Vorsorglich hatte Martineinen Löffel eingesteckt, den zog er nun heraus, so konnten wir auch die Preiselbeeren an-ständig essen, im Wechsel immer jeder einen Löffel voll. Mir schienen sie zu sauer zu sein.
Es kam und ging die spendende Frau und schleppte her-bei, was nur gut und teuer war, und sagte, das seien nicht etwa gestohlene Sachen, Überbleibsel und Reste seien es, wie sie vom Tische des Reichen fallen - Brosamen waren aber nicht dabei! Die Brautmutter, sagte die Zugehfrau, dürfe es wissen und lüde uns sogar ein, zum Essen ins Haus zu kommen, in den Flur oder in die Küche. Das lehnten wir aber ab und sagten, es gefiele uns so viel bes-ser, hier, im Freien, und gerade so sei es das Richtige und gemütlich, und mit den schwarzen Fräcken wollten wir nichts zu tun haben. Und immer von neuem kam die Gu-te, uns zu füttern, wie die Schwalbenmutter ihre Jungen atzt, und wir sperrten die Schnäbel auf wie die hungrige Brut im Nest. Die Mutter brachte Speisen, die nicht ein-mal Martin kannte, und sagte fremd klingende Namen dafür. Französisch sei das, sagte sie. Sie trug eine riesige, blühweiße Schürze und hatte ein gerötetes Gesicht, und ihre große Brust wogte so heftig, daß ich mich gar nicht hinzuschauen getraute. Zu den Tortenstücken und zu den Mohrenköpfen, aus denen der Schlagrahm troff, gab es ein großes Glasvoll süßen, gelben Weines, der uns ins Blut ging und unsere Lustigkeit steigerte. Der Wein, sagte die Schwalbe, sei ja eigentlich nichts für Kinder, aber heut sei ein besonderer Tag. Das fanden wir auch. Das Eis war rot wie Feuer und gelb wie Gold, Himbeer und Vanille, und unser Löffel bekam wieder zu tun, und es hätte mehr sein dürfen - so wunderbar war es, gar nicht zu sagen!
Das Hochzeitshaus lag in einem stillen Wohnviertel, so kam selten jemand des Wegs, der uns hätte stören kön-nen. Und wenn: gegenüber, auf der andern Straßenseite, hing eine Weide ihre Äste über den Zaun eines Vorgärt-chens, bis auf den Gehsteig herab, und machte uns ein grünes Versteck, in das wir eintreten konnten, und dann waren nur unsere Beine zu sehen, und nicht der Teller, von dem wir schmausten.
Die zwei großen, purpurfarbenen Äpfel aßen wir nicht, sondern steckten sie als Vorrat in die Hosentasche, aber die Bananenenthäuteten wir und verzehrten sie auf der Stelle. Ich beneidete Martin um solch eine Mutter und sagte es ihm. Was brauche ereinen Vater, sagte ich, bei dieser Mutter? Und kauend nickte er ein zuversichtliches Ja.
Noch einmal, zum letztenmal kam sie, mit einer Tüte voll Erdbeeren, und sagte, wir sollten jetzt nach Haus gehen, das Mahl sei zu Ende, aber für sie finge es jetzt erst richtig an, für sie gäbe es noch zu tun, ach Gott, ach Gott, sei das ein Trubel! Und sie drückte jedem noch ein Stück Em-mentaler in die Hand. Wir aßen die Erdbeeren und gin-gen, und aßen im Gehen den Emmentaler, und als wir damit fertig waren, holte Martin seinen Apfel aus dem Hosensack und biß hinein, und ich tat mit meinem auch so. Er hatte ein schönes, rötliches Fleisch. Am besten sei doch das Eis gewesen, sagten wir beim Auseinander ge-hen, gleicher Meinung, wie meistens!
Meinen Freund Martin also schickte mir ein gnädiger Zu-fall entgegen, als ich hilflos stand, mit dem eingetausch-ten Fisch vor der Brust, und fast den Tränen nahe. Ich ließ es mir aber nicht merken. Er hob die Oberlippe, daß seine Mauszähne blitzten im Blasengelgesicht, und besah sich den Geschuppten. »Ein Rotauges, stellte er fest. Er betupf-te mit dem Zeigefinger den Fisch, und fragte: »Woher hast du ihn?< Er wippte sich auf den Zehenspitzen. »Vom Fischer Jakl geschenkt bekommen«, sagte ich die Wahr-heit, die er nicht recht zu glauben schien. »So einen gro-ßen Fisch?« meinte er zweifelnd. Da hatte er recht, der Fisch war groß und schwer, mir lahmten die Arme. Mar-tin machte mit der Hand eine drehende Bewegung. Das hießen wir: »den böhmischen Zirkel« machen! und woll-ten damit sagen: gestohlen! Aber er fragte nicht nach Ge-nauerem. Er zog eine Trillerpfeife aus der Tasche, ein schönes, blitzen des Stück. Es sei aus Silber, sagte er, und pfiff darauf. Es klang schrill und durchdringend, ganz herrlich. »Tauschen wir!« sagte er dann und tupfte wieder auf den Fisch. Warum ihn der so ins Auge stach, begriff ich nicht recht. Das Rotauge ist kein edles Tier, mit sei-nem weichlichen Fleisch und den vielen Gräten. Aber Martin wollte es nun eben haben. Er war verwöhnt wie ein Herrensöhnchen. Wieder trillerte er auf seiner Pfeife. »Meinetwegen! « sagte ich und gab ihm das Rotauge und wischte meine Hände an der Hose ab. Dann pfiff ich auf der Pfeife, die jetzt mir gehörte. » Aus Silber«, sagte Mar-tin noch einmal und steckte den Fisch in seine Joppenta-sche, mit dem Kopf voran, und weil der Fisch so groß war, ragte er lang und mit dem Schwanze baumelnd dar-aus hervor. »Den laß ich mir braten«, sagte er und sagte »Servus« und ging.
Ich war von Herzen froh, das Tier los zu sein, und streck-te und beugte meine steifgewordenen Arme. Der Himmel war nun abendlich klar geworden, in der Tasche wußte ich meine silberne Pfeife, ich konnte zufrieden sein mit dem heutigen Tag. Als ich daheim ankam, war es schon Abendessenszeit, und auch mein Vater war schon da. »Na, wo warst du?« fragte er. Warum sollte ich nicht die Wahrheit sagen? Es war nichts Böses und Strafe Heraus-forderndes, was ich getan hatte. So erzählte ich von dem Sturmund von den vielen Kastanien, und daß es nicht ge-regnet hatte, trotz des Gewitters, und daß ich meine Ka-stanien mit dem Fischer Jakl getauscht hatte gegen ein Rotauge. »Was tut der nur mit den Kastanien?« wunderte sich mein Vater. »Und wo hast du den Fisch?« sagte er dann, » der gibt einen Gang mehr fürs Abendessen.« »Ach!« sagte ich leichthin, »das lumpige Rotauge, das ha-be ich mit dem Martin getauscht gegen eine Trillerpfeife.« Ich zog sie heraus. » Sie ist aus Silber«, sagte ich. Mein Va-ter sah mich an. »Zeig einmal dein Gesicht her!« sagte er, »du bist so rot um das Ohr herum!« Diesmal schien es mir besser, nicht die Wahrheit zu sagen. Mein Vater brauchte ja nicht alles zu wissen. Eine fallende Kastanie habe mich getroffen, sagte ich und fühlte wieder des Fischer Jakls rissige Hände an meinem Ohr. »Da brauchst du dann heut kein Abendessen«, sagte mein Vater, »wenn du den Fisch gegen eine Pfeife getauscht hast. Da pfeifst du eben, statt zu essen!« Meine Mutter aber sagte, ein grätiges Rot-auge wäre sowieso nicht wert gewesen, daß man es gebraten hätte.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Georg Britting – Sämtliche Werke – Band 5  S. 173
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