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Georg Britting
Sämtliche
Werke - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung
Band 5
Seite 216
Kommentar
Seite 401
Aus: »Erzählungen,
Bilder, Skizzen«
Im brennenden Feuerofen
Es traf
uns, daß wir - es war im Kriegsjahr 1917 - abends abzulösen
hatten, in Flandern, in einer uns neuen Stellung, an einem unruhigen Abschnitt,
und wir vier, von jeder Kompanie ein Offizier, wollten, an einem blauen
Mainachmittag, vorher schon wenigstens die Zumarschwege erkunden. Wir waren
auf unseren Rädern unbehelligt bis zu einem im wuchernden Grün
versteckten zerschossenen Dorf gekommen, das dicht hinter den Gräben
lag, die wir zu besetzen hatten, und fühlten uns nun sicher, sie auch
in der Dunkelheit zu fmden, zumal uns abends, bei der Kirche, Führer
erwarten sollten, die mit dem Grabennetz vertraut waren. So begannen wir
also unverweilt die Rückfahrt.
Die Straße war in
keinem guten Zustand, vom Regen ausgewaschen und von Granattrichtern übersät.
Wir fuhren noch nicht lange, da rauschte es hinter uns in der Luft, und
wir brauchten uns nicht erst umzusehen, das Rauschen kannten wir, von manchem
Tag und mancher Nacht. Die erste Granate schlug dicht hinter uns ein, und
eine zweite dann, und der Luftdruck schob uns voran, als hätte uns
der Stoß einer Riesenfaust getroffen. Es folgten noch mehr Schüsse,
und sie galten uns, das war nicht schwer zu erraten, und jetzt schmetterte
es wie bei einem Schmiedehammer gewaltig mitten vor uns auf den Weg nieder.
Wir sausten auf die Erdfahne los, die steil und prasselnd auffuhr, ein
Regen von Steinen und Lehmbrocken polterte herab: Hindurch! - und schon
wieder heulte es verderblichen Tons heran und zersprang krachend.
Ich hielt die Lenkstange
so fest umklammert, daß mir die Hände weh taten, und konnte
es, neugierig noch im Höllenlärm, nicht lassen, einen Blick zur
Seite zu werfen. Neben mir fuhr ein Mann, und das Gesicht dieses Mannes
kannte ich doch; seit Jahren war es mir vertraut, und erkannte es nun kaum
wieder, so war es verändert. Jetzt eben war mein Nebenmann mit dem
Vorderrad in eine Wagenspur geraten, er schien stürzen zu wollen,
aber er kam dann doch wieder ins Gleichgewicht, und länger als diese
winzige Spanne Zeit konnte ich nicht zu ihm hinüber schauen. Ich hatte
genug mit mir selber zu tun, denn schon wieder sang und orgelte es ohrenbetäubend
auf uns herein. Aber das Gesicht vergesse ich nicht, dieses Fahrers im
Feuer, der um sein Leben fuhr. Das Gesicht drückte nicht Todesangst
aus, nein, das nicht, der Mann hatte gar keine Zeit, Todesangst zu haben,
und sein Gesicht, ein braves Männergesicht sonst, wie viele, war von
einer fast geisterhaften Schönheit jetzt, da er allen Willen angespannt
hatte, schnell zu sein, und schneller als die glühenden Vögel,
die uns klirrend verfolgten.
Wir entkamen ihnen auch.
Und wenn ich ein Maskenschnitzer wäre, und aus dem Holz ein Antlitz
formen sollte, darin jeder gleich sollte lesen können, daß sein
Träger begabt sei, schnell zu sein wie der eilende Windgott selber,
ich wüßte keins zu finden, als das des Offiziers damals im feurigen
Flandern. Und ich habe nur einmal etwas erlebt, das mir, was Schnelligkeit
sei, in ebenso unverlierbarem Bild vor Augen stellte. Das war viel früher
gewesen, nicht in Flandern, in der alten Donaustadt, der türmereichen,
in meiner Knabenzeit.
Wir hatten zu Hause eine
Katze, ein schönes, schwarzes Tier mit glänzendem Fell, und wir
liebten es alle eifersüchtig, Vater, Mutter und wir Geschwister, aber
die Katze, glaube ich, liebte uns nicht, wie Katzen schon sind. Sie duldete
gnädig unsere Zärtlichkeiten, aber oft, während ich sie
streichelte und glücklich war, daß sie sich herabließ
zu schnurren, richtete sie sich plötzlich auf, und auf einmal spürte
ich, daß sie auch Knochen hatte: wenn sie auf meinem Schoße
sonst lag, spürte ich das nicht. Dann sprang sie auf den Boden, ging
nachlässig fort, ohne sich auch nur umzusehen, ohne auf meine Lockworte
zu hören, irgendwohin, wohin es sie die Lust ankam, in eine Ecke,
aufs Fensterbrett.
Das schwarze Tier konnte
es nicht heiß genug haben. Im Sommer lag es lange Stunden in der
Sonne, und in der kühlen Jahreszeit hielt es sich gern in der Küche
auf, wo auch an den Tagen, an denen das Wohnzimmer nicht geheizt war, die
Kohle im Ofen glühte, und oft verbrachte es die Nachmittage auf der
Herdplatte, die noch die Wärme vom Mittagessenfeuer aufbewahrte. Einmal
nun, im Frühherbst, wurde, was nur hin und wieder vorkam, auch des
Abends noch einmal der Küchenherd angeschürt. Meine Mutter hatte
es selbst getan, und mich dann in die Küche geschickt, nachzusehen,
ob das Feuer denn auch ordentlich brenne.
Es war schon dämmerig,
als ich die Küche betrat. Aus dem Aschenloch fiel rote Glut über
den Boden, und die zinnernen Teller über dem Ofen glänzten geheimnisvoll.
Und dann hörte ich ein sonderbares Geräusch, trappelnd, dumpf,
hohl, als schlüge jemand mit einem Stock, an dem vorn ein Wollknopf
befestigt ist, rasch gegen Blech. Ich sah mich erschrocken um, nach Räubern
und Dieben; aber ich war allein, vom Ofen kam der Lärm her, und er
wurde nur immer heftiger.
Vielleicht, dachte ich,
kracht das Holz im Herd so, vielleicht war ein mit Harz durchsetztes Scheit
ins Feuer gelegt worden, das knallte wie Flintenschüsse, wußte
ich aus Erfahrung. Jetzt schwoll das Getrappel mächtig an, als ritte
eine Schwadron Husaren über Kopfsteinpflaster. Und nun glaubte ich
zu hören, daß der Lärm aus der Bratröhre kam, und
ohne lang zu überlegen, wie es darin so donnern könne, riß
ich die Türe zu dem schwarzen Gehäuse auf und heraus schoß,
wie ein geschwänzter, feuriger Teufel unsere Katze, in einem einzigen,
gewaltigen Satz, flog, ohne den Boden zu berühren, wie ein abgefeuertes
Geschoß bis zur offenen Küchentür und durch die Tür
hinaus und verschwand ohne Laut. Und nie wieder seitdem verschloß
meine Mutter, ohne sich vorher davon überzeugt zu haben, daß
sie auch leer sei, die Bratröhre.
Es ging mir lange schaudernd
nach, im Wachen und im Traum, daß ich aus dem Schlaf oft emporfuhr,
mir vorzustellen, wie die Katze, als der Boden unter ihr anfing sich zu
erhitzen, von Fuß auf Fuß trat, immer schneller, immer rasender,
im engen, schwarzen Raum, von sechs Blechwänden umgeben, dem roten
Tod preisgegeben, wie jener Jüngling fast im Feuerofen, aber sie sang
nicht wie der, die stumme.
Und ich meine heute noch,
gesehen zu haben, daß, als die flüchtende Katze aus der schwarzen
Röhre sauste, eine Wolke von Glut und Rauch sie umloderte - ihre Haare
hatten wohl schon begonnen zu glimmen. Und manchmal, wenn mir die Windgottesmaske
des Offiziers, damals, im feurigen Flandern, in der Erinnerung aufsteigt,
fliegt neben ihm durch die Lüfte die Feuerkatze, rauchumwallt, beide,
Mensch und Tier, vom nahen Tod ins atmende Leben geschnellt.
Das Tier hatte übrigens
keinen ernsthaften Schaden genommen, stellten wir dann fest, als wir es
unter dem Bett hervorholten, wohin es sich knurrend verkrochen hatte. Zwar
die schwarzen Ballen unter seinen Füßen trugen Brandwunden,
aber es ließ sich geduldig Öl darauf streichen und ließ
sich verbinden, und humpelte dann auf vier weißverbundenen Beinen
herum. Und als man ihm die Verbände abnahm, die Wunden aber noch nicht
gänzlich verheilt waren, hielt es sich am liebsten im Hausgang auf,
der mit Steinen gepflastert war - das war wohl kühlend.