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© Georg-Britting-Stiftung

Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung

Band 5  Seite 251
Kommentar   (fehlt im Band 5)

Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«



Feuerwasser
(Geographie des Schnapses)

In den Indianergeschichten meiner Jugend las ich das Wort Feuerwasser zum erstenmal. Brennendes Wasser - ich konnte mir nichts Rechtes darunter vorstellen und sah grünliche Flämmchen aus dem Glas züngeln, daraus man es trank. An eine Hexenküche mußte ich denken. Das Feuerwasser führte den Untergang der Indianer herbei, las ich, die alles, alles hingaben, es zu bekommen. Es handelte sich ganz einfach um Schnaps, begriff ich dann, es wird ein elender Fusel gewesen sein - aber er berauschte und öffnete die Tore zu einem Himmel des Vergessens. Es wanderte die Flasche am Lagerfeuer von Mund zu Mund, und die unbegreiflichen Sterne sahen zu. Schön aber ist der Name: Feuerwasser!
 Am Bodensee hat man den Obstler. Zwetschgen, Birnen, Äpfel, alles durcheinander, Fallobst zumeist, gibt ein starkes Feuerwasser, bäuerlich-derb, der Kenner weiß es zu schätzen, trotzdem. Feiner ist das Kirschwasser, oder das Zwetschgenwasser, aus unvermischter Frucht., Das edelste unter den Fruchtwässern aber ist der Himbeergeist. Du mußt an ihm riechen, bevor du ihn trinkst! Mit dem Obstler mach keine Umstände!
 Was nach der Kelterung von den Weintrauben bleibt, ist der Trester. Aus ihm gewinnt man auch ein Feuerwasser, in Italien Grappa genannt. Der tut gut, wenn man fette, in Öl gebratene Fische gegessen hat. Für manche ist das nur eine Ausrede, und sie trinken ihn um seiner selbst willen. Eine gute Ausrede ist einen Batzen wert, pflegte mein Vater zu sagen. Der Batzen ist ein Geldstück, das längst nicht mehr im Umlauf ist.
 Der Sliwowitz ist das Zwetschgenwasser des Balkans, aus den bosnischen Pflaumen gebrannt, den besten der Welt. Bosnien war, es ist noch gar nicht so lange her, eine österreichische Provinz. Als Bub sah ich im bayerischen Passau, der Grenzstadt, dahinter es habsburgisch wurde, die »Fledermaus«, mit Gästen von drüben. Der lustige Gefängniswärter Frosch, schief gesetzt die hohe, österreichische Dienstmütze, brachte die Sliwowitzflasche schier nimmer vom Mund. Für ihn war der Sliwowitz noch ein vaterländisches Getränk. Als ich meinen ersten trank, in Agram, mußte ich an ihn denken, liebreich, und wie er sich den Schnauzbart wischte nach jedem Zug.
 Was ist von Frankreich zu berichten? Es hat die Stadt und die Landschaft Cognac - da weiß nun jeder Bescheid! Ein Weinbrand, ein Vetter des Cognacs, ist der Armagnac, blond und still-unheimlich. Frankreich hat auch seine Liköre. Süß sind sie, damenhaft. Im groben Bayern nennt man das: Weiberschnaps. Aber einen Benediktiner oder Cointreau mag auch ein Mannsbild leiden.
 In Miltenberg am Main, zwischen Weinhügeln, war ich oft bei Freunden zu Gast an glänzenden Sommertagen. Einmal hatte Fritz, der Mann, zehn Flaschen Armagnac geschenkt bekommen, eine Kiste voll. Er glaubte es mit Wein zu tun zu haben und stellte Weingläser auf den Tisch. Als erstem goß er mir das Glas voll. Ich sah es gern und wehrte ihm nicht. Als er aber fortfahren wollte in solchem Tun, klärte ich den Sachverhalt. Schnell erschienen Schnapsgläser. Gebt mir volles Maß! sagt Shakespeare. Fritz, der Mann, gab es mir. Und der Main blitzte herauf.
 Die Ostvölker, die Polen und die Russen, trinken den Wodka. Alle wollen sie in den Himmel. Hinten, weit in der Türkei, und weiter noch, bei den Chinesen, hat man den Reisbranntwein. Arrak heißt er bei uns. Aus dem Zuckerrohr brennt man den Rum. Das ist der Schnaps der Seefahrer. Die unter der Piratenflagge segelten, tranken ihn gleich aus dem erbeuteten Faß und grölten wilde Lieder dazu. Manche Ballade beschreibt es. Alle Frucht in aller Welt ist den Leuten gerade recht, Feuerwasser daraus zu machen. Von alters her tun es die Mönche. Sogar die sanften Nonnen. Der Schnaps hat es mit dem Himmel zu tun.
 Der Norden liebt den Aquavit, das Lebenswasser, wenn ich es recht übersetze. Unser Steinhäger wird aus roten Tonflaschen ausgeschenkt. Mit kochendem Wasser gefüllt, dienen sie dann als Wärmflaschen fürs winterliche Bett. Die bittere Wacholderbeere läßt sich brennen, und die Aprikose und das Korn wird nicht nur gegessen. In Salzburg hat man den Marillengeist, und die Schotten liefern der Welt den Whisky. Nicht jeder verträgt es, ihn ungemischt zu trinken.
 In einem arabischen Wirtsgarten, bei Tripolis, trank ich einen Palmschnaps, weiß war er und ölig. Ungescheut tranken ihn auch die Burnusträger, gegen Mohammeds Gebot. In den bayerischen Bergen und in Tirol wird aus der Enzianwurzel ein Schnaps gebraut. Er schmeckt nach Harz, und ich mag ihn nicht. Früher machten sich die Leute bei uns selber einen Schnaps aus Nüssen. Am Fensterbrett, in der Sonne, wurde er in großen Gläsern ausgebrütet. Er war braun und süß, und die Großmutter trank ein Gläschen davon, wenn sie von Schneewittchen erzählte und den sieben Zwergen. Manchmal ließ sie uns kosten. In der Normandie hat man den Calvados, den Apfelschnaps.
 In Agram sah ich in einem Laden die Sliwowitzflaschen auf einem Wandbrett nebeneinandergereiht wie Orgelpfeifen, in der Farbe anschwellend von Wasserweiß zum Honiggelb. Je älter, um so mehr Gold darin: eine lautlose Musik! In Palermo verlangte der Wirt, höflich dienernd, aber in diesem Punkte unbeugsam, daß man zu seinem alten Grappa Apfel und Käse aufeinandergelegt esse. So sind die Sitten, und ich gehorchte ihnen.
 Es gibt böse Zeiten im Leben. Noch vor nicht allzu vielen Jahren stand es recht traurig um uns und um Essen und Trinken. Wir wußten eine hilfreiche Wirtschaft in der Nähe Münchens. Der Wirt war dick und trug eine weiße Schürze.
Vorm Wirtshaus war ein grüner Kastaniengarten, und vorm Gartenzaun wogte der Weizen, wir aber hungerten. Einmal gab uns der Wirt eine rote, fette Mettwurst. Sie war aus Pferdefleisch gemacht, das sagte er uns aber erst, als wir sie schon gegessen hatten. Er lobte Pferdefleisch und Pferdefett, und Krapfen, sagte er, in Pferdefett schwimmend gebacken, seien besser als die mit Kuhbutter zubereiteten. Ich betrachtete ängstlich seine blutbefleckte Schürze. Er hatte auch einen Schnaps, sündteuer, der roch nach Benzin. Er war in Benzinkanistern aus dem Schwäbischen herübergeschmuggelt worden. Wir tranken ihn, und den Himmel öffnete auch er.
 




 

Feuerwasser
E: Frankfurter Neue Presse Nr.175, 30.7.1949
    u.d.T. Preislied auf denwasserweißen Sliwowitz
D1: Süddeutsche Zeitung Nr.155, 8.7.1950
    u.d.T. Geographie des Schnapses
D2: Die Zeit Nr.6, 9.2.1956, S.4
D3: Christ und Welt Nr.13, 14.3.1960
    [Der Text wurde noch mehrfach veröffentlicht.]
Druckvorlage: Typoskript im Nachlaß.