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© Georg-Britting-Stiftung

Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung

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Band 5  Seite 255
Kommentar Seite 405

Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«



Trinksitten

Ich habe einen guten Freund, der lebt jetzt nicht mehr in Deutschland, der lebt jetzt in England. Wenn ich mit ihm zusammensaß, und wir tranken Wein, so stürzte er das Glas in einem Zug hinunter. Er machte das nicht nur mit dem ersten Glas so, er machte es mit jedem Glas. Er trank nicht mehr als wir, er wartete, geduldig und höflich genau, bis wir andern, den Wein schluckweis trinkenden, auch unser Glas leer hatten. Dann goß er die Gläser voll, und seins trank er dann wieder leer in einem einzigen habgierigen Zug. Ich fand es etwas grobschlächtig, so zu tun, und fand es auffallend bei einem so artigen Mann, der er ist, und einmal sagte ich ihm: Tu langsam! Er sah mich nur lächelnd an, wie einer, der es besser weiß, und legte seine breite, feste Hand auf meine, und sagte: Laß mich so! Und ich ließ ihn so, ohne nach seinen Gründen zu fragen. Er wird diesen Brauch beibehalten haben im fremden Land. Genug zu trinken zu haben, wünsche ich ihm, die Insel ist neblig.
 Dann begegnete mir diese Verhaltensweise wieder. In Köln war ich mit einem berühmten Dichter zusammen. Der hatte seine Gedichte im Rundfunk gesprochen, und nach der Lesung erwartete ihn ein Gelehrter, von großem Namen auch er, der nur gekommen war, von dem Hochverehrten, den er noch nicht von Angesicht zu Angesicht, nur aus seinen Versen kannte, sich das Glück auszubitten, daß er ein Glas Weins mit ihm trinke. Wir gingen in die Wohnung des sonderbaren Schwärmers. Er hatte aus dem Keller den besten Jahrgang geholt. Feierlich-umständlich entkorkte er die Flasche und füllte die Gläser mit dem flüssigen Gold: das Zimmer duftete davon. Er stieß mit dem Dichter, dann mit mir an, und da geschah es: der Dichter stürzte sein Glas in einem einzigen Zug hinunter. Ich erschrak über das Unangemessene. Der Wein war ein hochedles Gewächs, bei einem einfachen hätte es noch angehen mögen. Der gelehrte Herr erschrak sicher nicht weniger wie ich, ließ sich aber nichts anmerken und schenkte dem Dichter das Glas sofort wieder voll. Und wieder leerte es der in einem tiefen Zug. Unser Wirt war zu vornehm, ein Wort darüber zu verlieren. Ich sagte auch nichts, mir war mein Freund in England eingefallen. Dann redeten wir, dieses und jenes, und der Dichter mußte zur Bahn, und wir begleiteten ihn. Unerschüttert aufrecht schritt er dahin.
 Ich trinke, auch wenn ich Schnaps trinke, das Glas nicht in einem Zug leer. Das liegt nicht in meiner Natur. Doch weiß ich, daß es beim Schnaps viele mit dem »Aufeinenzug« halten. Bei einem Verleger, der aus dem Schwarzwald ist, gab es einen Himbeergeist, herrlichen, alten, der roch, wie ein ganzer Himbeerschlag riecht, wenn er in der Sonne glüht. Ich nahm, wie gewohnt, meinen Schluck, der Verleger kippte sein Glas kopfüber hinab. So sei es richtig! sagte er tadelnd, jeder Schwarzwaldbauer mache es so. Das gäbe einen glühenden Stoß bis ins Herz.
 Einmal versuchte ich's auch mit dem »Aufeinenzug«. Es war eine leere Stunde, traurig war mir zumut, ohne Grund, und da fielen mir die Aufeinenzug-Leute ein. Ich hatte eine Flasche Burgunder stehen, die holte ich hervor. Ich goß mir das Glas voll und leerte es, ohne abzusetzen. Und ein zweites und drittes hinterdrein. Eine Feuerwolke umhüllte mich. Es war eine Wärme, die kein Ofen spenden kann. So himmlisches Feuer gibt nur der Wein. Es war ein plötzliches Glück. Die Traurigkeit war fort, und in rosigen Nebeln dampfte die Welt. Die gedrungene Burgunderflasche gefiel mir, und ich legte die Hand um sie, wie um eine Frauenhüfte. Ich begann zu sprechen, obwohl ich allein war und lauschte meinen Worten, die ein andrer sprach. Ich glaube, ich habe Weises gesprochen und Schönes, obwohl es sich nicht reimte. Zuletzt dann sprach ich in Reimen, und die Reime fielen mir zu, wie die Apfel vom Baum fallen, in der rechten Stunde.
 Seitdem bin ich wieder zu meiner alten Gewohnheit zurück gekehrt. Ich trinke, wie es sich gehört, den Wein in kleinen Schlucken, seine Würze zu schmecken. Aber vielleicht haben die andern recht, mein alter Freund auf der Insel, und der Dichter, der nun schon tot ist.