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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Sämtliche Werke - Band 1   Seite 12
Regensburger Impressionen

Anmerkungen


Der Haidplatz

Der Abend war voller Frieden herabgesunken, die Straßen sind still und leer geworden. Aus den Fenstern leuchtet der gelbe Schein der Lampen. Nur manchmal schallt ein Schritt übers Pflaster, und klingt eine Tür und hallt eine menschli-che Stimme. Dann fällt ein Tor ins Schloß und ein Schlüssel knarrt und kreischt - dann ist es still. Nur der Brunnen rauscht. Die Zinnen und Zacken des »Goldenen Kreuzes« stechen in den Nachthimmel und der massige Bau des Thon-Dittmer-Hauses liegt wie ein schlafendes Ungetüm, das aus hundert dunklen Augen droht! Frau Justitia auf dem Brunnen hebt in starrer Ruhe das Schwert, während ihre andere Hand die Waage der Gerechtigkeit trägt. Und unbeweglich sieht sie in die Nacht. In die Zeit des Mittelalters ist der Platz Frau Justitia und die alten Patrizierhäuser scheinen sich enger aneinander zu drängen, wie eine Herde geängstigter Tiere. Und der Brunnen rauscht ein Lied, zart und werbend, schmelzend und schwermütig, irgendetwas von pochenden Herzen und bebenden Lippen, von Hoffen und Sehnen und Schluchzen und Tränen. Eine leise Melodie springt auf Sie klingt, als ob Musik durch dicke Vorhänge dränge dahinter ein heimliches Brautpaar tanzt, einen langsamen Walzer voll geheimen Glückes und schwermütiger Süße. Ober die starren Züge der Justitia scheint ein leises Lächeln zu gleiten, über den Brunnen, der so törichtes Zeug plaudert, das doch so traut und lockend klingt! Dann blickt sie wieder ernst und unbeweglich wie zuvor. Und der Brunnen rauscht sein Lied - die ganze Nacht.

[I911]