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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1 - Frühe Werke - Seite 15

Anmerkungen

Der Dom

Wenn an regenfeuchten Herbstabenden seine Silhouette sich schwarz und finster abhebt und die grauen Türme in den dunkelnden Himmel ragen, dämmert der geheimnisvolle Reiz mittelalterlicher Mystik um seine Mauern. Das verwitterte Gestein schimmert feucht und huschende Nebel brauen um das hohe Portal. jeden Augenblick vermeint man die weiten Tor?Flügel aufspringen zu sehen und den eintönigen Gesang verhüllter Nonnen zu vernehmen, die in langem Zuge durch die hallenden Gänge schreiten. Durch das durchbrochene Mauerwerk der Türrne blinzelt das fahle Mondlicht; es zittert in mattem Glanz auf den Gestalten der steinernen Wasserspeier und setzt seltsame Lichter auf das schwärzliche Grau der vorspringenden Zakken und Erker. Die spitzen Seitentürmchen ducken sich ängstlich, schmiegen sich eng an ihre große Mutter und wenn ein scharfer Windstoß um die Ecken faucht und eine Hand voll Regen prasselnd gegen das Gemäuer wirft, scheineu sie verschüchtert und erschrocken zusammen zu zukken und leise zu weinen. Ein schwarzer Wolkenballen ist mählich an den Mond herangekrochen und hat seine helle Scheibe überdeckt. Nun ist der mächtige Bau in tiefstes Dunkel gehüllt. Seine schwarzen Konturen wachsen ins Riesenhafte, sind seltsam verzerrt. Und als jetzt von einem nahen Turm elf Glockenschläge in die Nacht tönen, klingen sie ganz beklommen als scheuten sie sich den finsteren Riesen zu stören, der unheildrohend seine mächtigen Arme reckt. ? Ein anderer ist der Dom an einem sonnendurchfluteten Oktobernachmittag. Aus dem wuchtig schweren Unterbau streben voll leicht beschwingter Anmut die schlanken Türme und baden ihr Haupt im leuchtenden Licht. Wenn man die gewaltige Größe und Wucht der mächtigen Kathedrale betrachtet, fühlt und bewundert man erst die zarte[,] feingliedrige, graziöse Struktur der Teile. Von aller Erdenschwere losgelöst, die Stein gewordene Phantasie eines gottbegnadeten Künstlers, drängen und quellen in unbeschreiblicher Schönheit und Fülle die Linien nach oben, bis das gewaltige Strahlenbündel immer zarter und durchsichtiger wird und auf seiner Spitze als krönenden Abschluß die Kreuzblume trägt. Es ist ein Symbol der Lebensfreude, der Lebensbejahung wie da in Licht und Sonne getaucht der ganze Bau von einem jubelnden, iauchzenden Streben beherrscht ist, wie aufwärts, zur Höhe j . edes kleine und kleinste Türmchen strebt, wiejeder Erker, jede Säule nach oben weist, wie jedes einzelne wieder sich zum Ganzen schließt und in gebändigter Harmonie, in ruhiger Schlichtheit und Schöne zur Erfüllung gelangt.