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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1 - Frühe Werke - Seite 23

          Anmerkungen

Die Ostengasse

Ein unbekannter Künstler von vielen Graden, der Pinsel und Palette mit Geschick und Fleiß zu handhaben verstand, ist der Schöpfer des an einem Hause in der Ostengasse sich  jedem Vorübergehenden präsentierenden, vergnüglichen Bildes, das den wütend die Zähne fletschenden Bären darstellt, der gar grimmig und voll Zorn dreinblickt, vermutlich aus Ärger darüber, daß man es gewagt hat, ihn an die Kette zu legen. Fein säuberlich mit Geduld und Kunst ist diese lange Kette mit ihren einzelnen Ringen dargestellt. Und da der wackere Meister, ein Anhänger der naturalistischen Methode zu sein scheint, so ist das Loch darin die Kette mündet, nicht gemalt, nein, wirklich in die Mauer gehöhlt. Die Erneuerer dieses merkwürdigen Kunstwerkes, die die Schäden behoben, die dem Bild im Laufe der Jahrzehnte durch den bekannten bissigen Zahn der Zeit zugefügt wurden, trauten wohl dem Können des ursprünglichen Schöpfers nicht recht: drum ließen sie, um keinen Zweifel an Nam und Art des dargestellten Tieres aufkommen zu lassen, die Inschrift stehen: »Dieses Haus stehet in Gottes Hand, zum Bären an der Ketten ist es genannt«. Das originelle Bild paßt so recht in den Charakter der Gasse, die schon deshalb einen bizarren Eindruck macht, da ihre große Länge in so gar keinem Verhältnis zur Breite steht. Ein Wehrturm voll trutziger Kraft und Größe beherrscht das Gesamtbild der Ostengasse: der Ostenturm. Mächtig und stark reckt er sich in die Höhe, von zwei kleineren Türmen flankiert. Er scheint sich bewußt, daß er den Eintritt in die Stadt bewacht und blickt mürrisch drein, wenn ein ungebetener Gast wie die Straßenbahn ohne Ehrfurcht vor seinem Alter durch sein Tor rattert. - Ein Anblick von seltener Anmut ist es, wenn man von der Stadtseite aus dem Turm näher kommt und durch den breitgewölbten Torbogen das blasse Grün der Bäume der Straubingerstraße hervorlugen sieht. Die beiden Glocken des Turmes, die hoch oben aus den Dachlucken neugierig auf die Straße blicken, führen ein beschauliches Dasein. Die müssen einen prächtigen Rundblick haben über die Stadt, über deren Dächer hinweg so manches Mal ihre Klänge schweben.