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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1 - Frühe Werke - Seite 25

Anmerkungen

Beim Rathaus

In dem feinen Nebel des späten Herbstnachmittages wächst der wuchtige, massige Turm des alten Rathauses zu schier übernatürlicher Größe empor. Das schwärzliche Grau seiner Mauern schiebt sich finster drohend wie die eisenstarrende Schlachtreihe eines Fähnleins reisiger Knechte auf den Platz vor. Turmdach und Spitze sind ganz verhüllt von den gleitenden weißen Schleiern, die einen matten Flor um das Haupt des trutzig ragenden Gesellen breiten, sodaß es den Anschein hat, als ob er nach oben niemals aufhören wolle, als ob seine riesige Gestalt sich ins Unendliche strecke. Das Zifferblatt der großen Uhr, deren breite, metallisch glänzende Zeiger an hellen Sonnentagen funkeln, ist, hinter den huschenden grauen Nebeln verborgen, nicht zu erkennen. Und wenn plötzlich der eherne Klang der Glockenstimme in schwer hallendem Schlag über die Dächer dröhnt und die Stunde verkündet, scheint der mählich verzitternde Ton aus unsichtbaren, überirdischen Räumen zu kommen. In der Stube des Turmwächters brennt ein flackerndes, dünnes Lichtlein, dessen rötlicher Schein mühsam kämpfend die dicke Nebelwand durchdringt; es hängt wie ein verlassener, einsamer Stern in der dunkelnden Höhe. Das niedrige Gewimmel der wirr begiebelten Bürgerhäuser des Kohlenmarktes drängt sich hilfesuchend an den Turm heran. Feucht glänzen die breiten Treppenstufen des mittelalterlichen Portals, das zum großen Reichssaal führt. Die hohen, schmalen Bogenfenster des Saales gähnen schwarz und drohend und der graue verwitterte Erker des Gebäudes wuchtet schwer und finster vor. Auf der Straße drängen und stoßen sich in hastender Eile die Menschen. In dem trüben, verdämmernden Licht der Laternen, das fahl durch das gleitende Volk der NebeIschwaden glimmernd leuchtet, sind ihre schwarzen Silhouetten seltsam verzerrt. Nur schlecht will das laute Treiben und Lärmen des modernen Straßenlebens, das Klingeln der Elektrischen, die ratternd vorbeifährt, das Rollen und Dröhnen der Lastwagen zu dem Orte passen, der noch von dem Zauber einer großen Vergangenheit umwittert ist, und nur schwer findet sich da eine Verbindung mit dem Geist einer mystisch in Furcht und Verzückung nach dem Göttlichen sich steigernden Zeit. Man muß warten, bis das schwingende Leben des Tages verrauscht ist und die Straßen still und ruhig liegen. Wenn dann der alte steinerne Brunnen sein einförmiges Schlummerlied singt, die Schritte eines späten Wanderers laut auf dem Pflaster hallen, das Licht in den Fenstern der Häuser erloschen ist und die schweigende Nacht ihren Mantel über die Stadt gebreitet hat, scheint die Vergangenheit wieder lebendig zu werden: Würdige Ratsherren in langen, dunklen Talaren, das Barett auf dem Kopfe, mit ernsten Gesichtern und gewichtigen Schritten wandeln durch das Tor des Rathauses, vom Stadtknecht ehrerbietig gegrüßt. Züchtige Jungfräulein schreiten vorüber, geschämilg den Blick zu Boden gerichtet, - bis um die Ecke ein junges Blut mit dem ersten Flaumbart und roten Wangen biegt. Da heben sich die Augen der Mädchen und danken mit warmem Aufleuchten dem kecken Gesellen für das zierliche Schwenken der Mütze. Ein Büttel in Amtstracht kommt des Weges, von den Buben ehrfürchtig bestaunt. Am Brunnen schöpfen dralle Mägde unter Scherzen und Kichern Wasser und tragen die gefüllten Eimer in die Häuser. Vergoldete Prunkwägen rollen heran, in denen hochmütig dreinblickende Reichswürdenträger sitzen. Der Kopfputz der Pferde gleißt im Sonnenlicht. Mit scharfem Ruck hält die reichgeschmückte Karosse vor der Treppe des Stiegenhauses die zum Reichssaal führt, wo die Geschicke des heiligen römischen Reiches deutscher Nation in langen, nichtssagenden Tiraden, mit pompösem Wortschwall besprochen werden, wo über langwierigen Rangstreitigkeiten und Kleinkrämerei das Wohl des Reiches vernachlässigt wird ... Von der Turmuhr tönen elf Glockenschläge in die Nacht. Verschwunden sind die Gestalten, die eben den Platz belebten, wie vom Nebel verschlungen. Nur der Brunnen rauscht sein Lied wie damals und die alten grauen Häuser sind in die stimmungsvolle, verträumte Schönheit des stillen Marktplatzes einer mittelalterlichen Stadt eingesponnen.

[1911]