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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1 - Frühe Werke - Seite 46
                                                                                       siehe auch hier
Anfänge bei den
„Regensburger Neuen Nachrichten“

Anmerkungen
 
 Magdalena
       Ein Volksstück in drei Aufzügen von Ludwig Thoma
 (Buchausgabe bei Albert Langen in München)

Es gibt Archivare, Bibliothekare und Registratoren der Literatur, langweilige Tröpfe, die am liebstenjede dichterisehe Begabung ein für allemal klassifizieren möchten, nach denen ein Lyriker unmöglich ein passables Drama schreiben kann, nach denen ein Humorist nie und nimmer ernste Stoffe zu behandeln im Stande ist. Da wird ein Talent nach Schema F eingeschachtelt. Und wenn irgend ein neues Erzeugnis nicht mehr in das Aktenfach paßt, dann muß es eben auch nichts wert sein, denn zwei Fächer werden nicht zugestanden. Dafür langen die verstaubten Begriffe der Herren Archivare nicht.
Ludwig Thema, der Simplizissimusmann, ist nach diesen Literaturbureaukraten ein Humorist und Witzbold, der mitunter auch derbe Zoten reißt - mehr nicht. Daß er schon zwei ernste Romane voll Wucht und psychologischer Vertiefung geschrieben hat, die zu den besten Werken dieser Art gehören, läßt diese Herren kalt.
In der Schilderung des Bauernlebens steht Thoma unerreicht da. Wer seinen »Agricola« kennt, weiß, daß es nicht möglich ist, dieses Buch in der eindringlichen Schärfe der Charakteristik zu übertreffen. Diese Bauern sind bodenständige Figuren, rauh, verschlagen, auf ihren Vorteil bedacht, ohne falsche Sentimentalität, die am Samstag Kammerfensterln, am Sonntagvormittag beichten und am Nachmittag raufen. Nichts ist ihrer Art ferner, als die gefühlvolle Weichheit, in der sie z.B. Ganghofer in seinen Romanen schildert.
Thoma, ein Oberammergauer, der selber Bauernblut in den Adern hat, behandelt auch in seinem neuesten Bühnenwerk einen Vorwurf aus dem bäuerlichen Leben. Es ist dieTragödie des gefallenen Mädchens, das aus Leichtsinn, Dummheit und Trieb auf die schiefe Bahn gerät. - Der Paulimann, ein bescheidener Häusler, lebt mit seinem Weib in glücklicher Ehe. Ein Gram zehrt an den alten Leuten, die Tochter, die Lern, ist in der Stadt herabgekommen, zur Dirne geworden. Auf dem Schub wird sie ins Elternhaus geliefert. Nach der Mutter Tod flührt die Geächtete dem Vater die Wirtschaft. Sie sehnt sich nach der Stadt zurück und ? um das Geld dazu Zu erlangen, verlangt sie von einem Burschen, dem sie ihre Gunst schenkte, Geld. Darüber empört sic das ganze Dorf und in einem Anfall von Zorn und Verzweiflung ersticht der Vater sein entartetes Kind. Eine Fülle seelischer Vertiefung und echter Charakterschilderung liegt in den einzelnen Szenen. Fein gezeichnet sind die bäuerlichen Vertreter der sittlichen Forderung, in deren Liebeskodex die Prostitution keinen Raum hat, die einem Mädel ein oder zwei ledige Kinder verzeihen, aber sich mit Abscheu von der wenden, die sich für ihre Liebe bezahlen läßt. ? Der eigentliche Höhepunkt des Dramas ist wohl die Szene des zweiten Aktes, in der das vergebliche Liebeswerben des verachteten, ausgestoßenen Weibes geschildert wird. Es ist ergreifend, wie in dem apathischen, im Sumpf untergegangenen, verlotterten Mädel eine edlere Empfindung noch einmal aufflamint, in der naiven Liebessehnsucht zu dem strammen Knecht.
Die Aufführung an unserem Theater hätte man eine ganz anständige nennen können, wenn - ja wenn es nicht bei den meisten Darstellern mit dem Dialekt gehapert hätte. - Die beste Leistung des Abends bot Herr Kalkum als Aushilfsknecht Lorenz Kaltner. Das war eine Figur, die mit Naturtreue und feinem Humor gezeichnet war, fest und scharf umrissen. Ganz köstlich war seine Maske. Man hätte glauben mögen, eine Zeichnung von Spiegel aus dem »Simplizissimus« sei lebendig geworden, als er im zweiten Akt ins Zimmer trat, mit den Militärhosen angetan, das Haar sorgfältig gescheitelt und an den Kopf geklebt, den Schnurrba rt keck aufgezwirbelt. Besser und mit größerer Virtuosität hätte man die Rolle nicht darstellen können, als es Kalkum in diesem prächtigen Kabinettstückchen tat. Frau Lauschek fand für ihre Mariann warme Herzenstöne und wirkte ergreifend in ihrer rührenden Schlichtheit. Der Bürgermeister des Herrn Linnprunner war in Maske und Spiel ganz vortrefflich. - Die Trägerin der Titelrolle, Frl. Hoheneck, sah als herabgekommene Dirne viel zu proper aus. Warum sich die Dame keine Maske machte, ist unerklärlich. Schließlich sieht doch diejungfrau von Orleans anders aus, als eine verlotterte Bauerntrude! Gespielt hat Frl. Hoheneck ganz gut, wenn ihr auch der Dialekt viele Schwierigkeiten machte. Das gleiche gilt von Herrn Loebell, der österreichisch statt oberbayerisch sprach, im übrigen aber ganz gut spielte. Herr Pötsch sächselte als Bauer Plank vergnügt darauf los.
Das mäßig besetzte Haus applaudierte lebhaft.

[1912]