zu den "Aufführungen des Stadttheaters in Regensburg"
zurück zum Inhaltsverzeichnnis
© Georg-Britting-Stiftung



Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1   Seite 120
Kommentar Seite 628
Aus: »Kunst–, Theater– und Literaturkritik«

ÜBER JOSEF ACHMANN,
DEN GRAPHIKFR UND MALER

  • Josef Achmann
  • [ Zu: Josef Achmann, »Die kleine Stadt«]
  • Josef Achmann
  • Der Maler und Graphiker Josef Achmann
  • Münchner Künstlerköpfe: Josef Achmann



  •  

    Josef Achmann

    Anmerkung
    Es gibt ein Blatt von ihm, da ist ein Stück Himmel und ein Stück Wasser zu einer Landschaft geformt auf einem fremden Stern. Da tanzt eine Weiße Insel zu einem singenden Horizont. Da brennt ein Fluß wie Flamme, die aus dem Feuer blühender Blumen sich erhob. Da stürzt ein Licht herein, das in silbernen Strudeln das Schwarz aufwühlt zur Tiefe, in der große Fische mit runden Augen unbeweglich träumen. Fremde und ungeheure Berge tragen eine Sonne im Nacken, die wie das Nest weißklirrender Vögel ist.
        Das Blatt heißt: »Donau II«. Es ist von gemeisterter Größe. Von der klaren und starken Süße der Reife. Nicht alle Holzschnitte Achmanns sind wie der. (Fest und köstlich wie Fruchtfleisch des Apfels.) Manches von ihm ist kühn überstürzt, gewalttätig hergerissen. Er hat aus dem Holz eine Welt sich gewühlt, Tiere, Wolken und Gärten, Menschen, die wild verzerrt sind und Städte, die verwirrt taumeln. Aber ein Wille, der steil und rein in ihm steht, treibt zu einem Werk, das stark und feurig sich runden will. Werk: Welt, aus Sternen gebrochen, fremd, süß gewaltig, vertraut wie verlorenes Paradies.
       (Regensburg, München, Mannheim, Paris und wieder Regensburg sind die äußeren Stationen dieses Lebens. Das sich noch wenig uni »Erfolg« bemüht hat. Bilder waren in Münchener, Dresdner und Berliner Ausstellungen zu sehen. Haus Goltz in München liefert seine Graphik aus. Seit Juli leitet er mit mir die Zeitschrift »Die Sichel« in Regensburg).
    [1919]

     
     

    [Zu: Josef Achmann, »Die kleine Stadt«]

    Anmerkung
    Die Graphikbücher der schwarze Turm
    rufen, der Vergangenheit Kinder grüßend, Urmenschentum. Urfreude und Fühlen. Verloren ging das Ewige in Form und Zeit. Nun leuchten Gott und Menschengedanken neu aus eurer Hände Werk, zeigen wieder rechten Weg den Suchenden, Träumenden, Kindlichen, daß alle werden glatter Mache Feind, Kinder neuen Reiches Göttlichkeit.
       Er hat, was heute nicht viele haben, Kultur. Niemand verstehe darunter: Glätte, Poliertsein, Blasiertheit, Müdigkeit. Er hat nichts akademisches, epigonisches, schwaches, formelhaftes, dagewesenes. Aber die süße Lind beschwingte Kraft – ich wage bewußt das Wort – der Meister. Wer lebte lange in einer alten Stadt wie Regensburg, sähe, in Kinderund Mannesjahren, Dorne, Kirchen, Wunderbauten, gespeicherte Kunst der Jahrhunderte, Glanz über Bogen und        Gewölb, dem nicht das Blut sänge davon? Alles ist hier         köstlich, ererbten Geschmacks. Noch das Geringe hat eine Geste, die bezwingt. – Was dieses Heft zeigt sind Spiele.  Zwischenspiele. Rast zwischen großen Arbeiten. Ist Kraft erproben. Auch Training. In zehn Minuten zum Da-Sein gesticheltes. Rund, saftig, stark. Einfälle. Aber nicht literarisches, anekdotisches. Immer zu einem Ganzen geformt.
       Es sind Spiele. (Aber sie haben nichts spielerisches.)
         Eine Schaukel geht er zwischen Wolken und Erde.
       Er singt jetzt mit Engeln. Reißt aus dem
       Barte Gottes kühn ein Haar. Und steht
       wieder auf Erden. Lachend.
       Auf festen Füßen.
     

    [1918]







    Josef Achmann

    Anmerkung
    Es gibt aus Achmanns früher, aus seiner Münchner Zeit, Radierungen, die in gehemmter, geballter Kraft zittern. Blätter, in denen übliche (längst schon nicht mehr impressionistische, niemals impressionistisch gewesene) Form nur mühsam (oft verzweifelt vergeblich) gehalten ist. Schon zucken Linien, zurückgedrückte stählerne Spiralen und möchten über Rand und Blatt ins Unausmeßbare springen. Aber er fesselt sich mit immer stärkeren Ketten, je ungestümer Drang sich hoch zu schleudern ihn quält. Er straft sich init immer schrecklicherer Vereinfachung. In Paris werden seine Radierungen nur mehr letzte Andeutungen, haardünne fiebernde Umschreibungen. Nur mehr gleitende Kontur, Punkte, Striche, Kritzeln. Immer tödlicher wird die Weiße des Papiers. Wie rasend sausen hingetupfte Reihen von fliegenden Kommas, die eine Figur, eine Landschaft, verschwimmend, in letzter Angst, fast verfließend, vor der Auflösung in Nichts festhalten. Er taumelt an einem Abgrund, keine Planke hinüber. Da hält er inne. Und steht. Er horcht in sich. Er sieht in sich. Umwelt versinkt. Und zögernd, einsam, beginnt er neuen Weg. Rückweg nicht, nicht Umweg. Kurve nicht ? Aufstieg und Flug! Er darf sich zum erstenmal ganz ausgeben. Er darf Wölbung zersprengen, die gräßlich bedrückte. Er darf Linien singen lassen, Bögen sich jubelnd schneiden. Er darf Menschen bilden, die groß aus sich erblühen, starker Geste, mit tiefen Augen. Er darf mit Sonne und Mond glühend spielen. Darf Pflanzen zeigen, die wie Schlangen sich um Häuser winden, Tiere riesig und fremd. Darf schwarz und weiß stürmisch gegeneinander sich stürzen lassen, tanzend und kreisend, himmliche Schaukel im ewigen Gleichgewicht ...
       Achmann drang rasch vor zu den Grenzpfählen, die herkömmlich heiligen Bezirk der Bildermalerei stachlich umhüten. Um 1912 stärkste Anregung Cézannes, ist er derb, streng, manchmal gewaltig in der Farbe, viel braun, lehmig, karg, stark. Der Krieg kommt. Entreißt ihm den Pinsel. Es entsteht nur, spärlich, Graphik: Vorposten, Vorläufer, Vorkämpfer des Einbruchs ins Neue. Bis er Herbst 1918, in unserem verschollenen Haus in Regensburg, am Königshof, in einem kleinen Atelier,‘ das nur wenig Tageshelle hat, nachts, beim Licht elektrischer Lampen, Bilder, Bilder, Bilder aus sich herauswirft. In atemversetzender Schnelligkeit. In vier, sechs, sieben Stunden werden metergroße Flächen lebendig. Pläne, Versuche, Theorien, Visioneu und Ekstasen, vier Jahre im Gehirn sich austobend, dürfen sich entladen. In diesem Winter entstehen so an die fünfzehn Gemälde. Ungleichwertig. Die ersten ein Ausrasen des Pinsels. Ein barbarisches Bacchanal der Farben. Dann legen sich Wut und Krampf Er malt »Die Mansarde«. Wie ein riesiger Kristall ist das Bild, Kristall, der vom Boden des Flusses durch den silbrigen Spiegel glänzt. Alles ferne ist nah geworden und alles nahe wunderbar fern. Grüne, rote, blaue, violette Flächen schimmern perlmuttern. Tang, Tanz, versinkender Leib des Menschen. Glasgrüne Wellen zittern unter einer dumpfen und zauberhaften Sonne. Er malt »Das Fenster«. Eine farbige Melancholie in gelb, grün, weiß und rosa. Man ahnt einen kalten und nassen Frühwintertag. Leere strudelt und saugt nachstürzendes Zimmer in sich. Er malt das »Bild zweier Freunde«. Die Wände des Raums marschieren, bösartige Kulissen, und treiben die beiden Körper zuckend ineinander. Entsetzlich und hilflos starren verrenkte Glieder. Eisig schmilzt blau, grün, gelb über die Fläche. Dazwischen hinein, in Atempausen, viel Graphik, Zeichnungen, Lithographien, Holzschnitte, Radierungen. In immer stärkerer Konzentration. Mit einer erstaunlichen Disziplin der Mittel. Er hat ein Blatt geschnitten: »Donau II«. Da ist ein Stück Himmel und ein Stück Wasser zu einer Landschaft geformt auf einem fremden Stern. Da tanzt eine weiße Insel zu einem singenden Horizont. Da brennt ein Fluß wie Flamme, die aus dem Feuer blühender Blumen sich hob. Da stürzt ein Licht herein, das in Strudeln schwarzes aufwühlt zur Tiefe, in der große Fische unbeweglich träumen. Berge tragen eine Sonne im Nacken, die wie das Nest weißklirrender Vögel ist.
       Er hat eine stählerne Männlichkeit. Von Femininem nur so viel, daß seine Herbheit nicht brutal wird. Kraft, die nicht ohne edle Süße ist.
       Es leben Maler, die mehr als er das haben, was man so Einfälle nennt. Aber wenige sind wie er, der inbrünstig um die letzte Form ringt. Der sein riesiges formales Können in strengste Zucht nimmt. Der sein Herz immer tiefer und blutiger durchwühlt, das Bild auszugraben, das ihn verbrennt.
       [1920]

     
     
     

    Der Maler und Graphiker Josef Achmann

    Anmerkung
    Manchmal, des Nachmittags, bummeln wir zum Hafen. Krane kreischen, Staub wirbelt und die Schleppschiffe riechen nach Teer. Aber dann kommen Wiesen und blaue Berge dahinter. Ober der Donau flitzen Möwen. Hört ihr den Schrei? Es ist ein Krächzen, mißtönig, aufstachelnd, Seeräuberruf Das Schilf wackelt im Wind. Schöner Tag. Wir gehen in die Stadt zurück. Die alten Straßen Regensburgs sind kühl. Von jeder Ecke aus ist der Dom zu sehen. Wo drei Häuser zusammenkleben, steht er dahinter grau und kühn.
       Nachtschwärmer, die wir sind, lieben wir den Mond. Der ist nirgends so schön wie in Regensburg. Groß und rund und rot, wenn er über den Scheuchenberg heraufrollt. (Im Osten, von der steinernen Brücke aus, sieht man den bewaldeten Rücken. Er liegt wie ein zufriedenes Tier. Wie ein Bär. Gar nicht gewalttätig. Aber doch mit Größe.) Wenn wir nachts um zwei oder auch um drei Uhr durch die brave, schlafende Stadt in unsere zwei Dachstuben am Königshof zurückkehren, setzt Achmann sich noch an den Tisch, raucht eine Zigarette und legt eine Holzplatte bereit. Dann knirscht auch schon der Stichel im Holz und fliegen schon die Späne. Die kräuseln sich oft lieblich, zu schönen Spiralen, wie die Streifen, die man aus der Apfelhaut schält. Manchmal prasseln sie hart und kurz zu Boden. 0, wie die Platte nun aussieht! Wie ein zerquältes, von Runzeln durchzogenes, zerschundenes Menschenangesicht. Dann schmiert die Walze Druckerschwärze drüberhin. Schwarz und Weiß stehen gegeneinander auf, Linien suchen, verschlingen und trennen sich und eine Straße, ein Strauch und ein hoher Himmel träumen. Zauberei.
       Die beiden Zimmer, in denen wir leben, sind klein und niedrig. 0, wir beklagen uns nicht! Die Wände sind bedeckt mit Achmanns Bildern und Schnitten und Zeichnungen.
       Einen Ofen haben wir, der wärmt. Einen guten, alten, treuen Kachelofen, einen Sesselherd. (Achmanns Vater, dem das Haus gehört, ist Hafnermeister. Töpfer, wie man im Norden sagt.) Und dann haben wir eine Kaffeemaschine. Es ist uns schon schlecht gegangen, aber es ist uns noch nie so schlecht gegangen, daß sie uns nicht den schwarzen, schwerduftenden Saft gegeben hätte, den wir bis zur Verzückung lieben. Die zwei Zimmer sind sehr schön. Aber sie haben wenig Tageslicht. So muß Achmann seine Bilder beim Schein elektrischer Lampen malen. Blendendweiß sind die Stuben, wenn die drei großen Hundertkerzigen losknallen. Unter diesem Kranz von Sonnen malt Achmann seine Bilder. Er wirft sie manchmal aus sich heraus, wie ein Brunnen, dessen Schließplatte man entfernt, die Springflut aus sich herauswirft. Wie ein Wütender, ein Besessener stürzt er sich auf die Leinwand. In drei, vier Stunden entsteht so ein Ding. Fiebrig, eine fremde Gewalt im Nacken, malt er die Bilder herunter. Merkwürdig abgeschlossen, reif sind dann diese Gebilde. Kein Ringen um die Form. Als sei es vorbestimmt, daß das Bild so und so und nicht anders sich gestalte. Kein Schwanken. Kein Zögern. Er muß. Es gab eine Zeit, im Winter 19 18 auf 19 19, da hat er im Wirbel, in ein paar Wochen, an die zwanzig Bilder gemalt. Er hatte im Krieg fast nie einen Pinsel in die Hand bekommen. Das holte er nach. jetzt hat er sich beruhigt. Das stürmische Tempo hat nachgelassen. Er geht nun stiller, gesammelter, gelassener an die Leinwand heran. Er hat, sportsmäßig zu reden, wieder sein Stehvermögen gefunden.
       Bilder aus der Zeit um 1912, da er in München lebte, stehen und hängen bei uns herum. Das ist jetzt acht Jahre her und die Zeit hat sieben große Sprünge getan seitdem. Als ihm die Bilder aus München, wo sie den Krieg über lagerten, nachgeschickt wurden, öffneten wir die riesige Kiste mit der Furcht, was da herauskäme, werde nicht mehr zu sehen sein, werde nicht mehr standhalten einein geschärften Blick, einem strengeren Maßstab, einem neuen Gefühl, das kämpfend errungen ward. Wir Kleingläubigen! Das eine zwar und das andere war etwas staubig geworden, trocken. Aber das meiste hatte die alte Gewalt. Da war ein »Mädchenbildnis«, kräftig, von einer ungeschwätzigen Art. In der Farbe streng, nichts Blendendes. In der Ruhe, die von dem Bild ausgeht, groß. Gar nichts Süßes hat das Mädel, herb ist es und das Gesicht auf den ersten Blick das einer Dreißigerin. Bis man alle Lieblichkeit derjugend, die drin ist und eine Jungfräulichkeit spürt, die nichts gemein hat mit Backfischzuckrigkeit.
       Später übersiedelte Achmann nach Paris, wo er bis Kriegsausbruch blieb. Er liebt noch heute diese Stadt. Ich war nie dort. Er hat mir viel von ihr erzählt. Von den Menschen, von den Cafés, von den Straßen, von der Seine und ihren Brücken. Er hat sich heimisch dort gefühlt. Er hat mir von Tagen erzählt, wo die Sonne auf die Dächer drückte und die Luft war wie geschmolzenes Blei, daß die Beine kaum mehr zu heben waren in der flüssigen Masse. Und von Frühlingstagen, wo im Jardin de Luxembourg die Sträucher blühten und die Kinder spielten. Dann holten wir immer die große Mappe aus dem Schrank, wo an die zweihundert Zeichnungen, Holzschnitte und Radierungen aus seinem Pariser Aufenthalt zusammengepackt liegen. Da sind sie wieder, die Pont de Neuf und die Pont Samt Michel. Und die Straßen und die Häuser vor dem Fenster seiner Wohnung in der Rue Bruller. Was er an Radierungen in Paris geschaffen hat, ist von erstem Rang. D le Blätter sind von einer seltenen Köstlichkeit. Mit den sparsamsten Mitteln gestaltet. Hingestrichelt. Duft. Verhauchend. Nicht wie bei anderen, denen Radierung nichts anderes ist als Zeichnung, statt auf Papier auf die Platte gekritzelt. Im Material gefühlt und gestaltet. Zuletzt Ist eine Leichtigkeit erreicht, die betört. Er fliegt. Nichts Schweres mehr, keine Hemmung. Tanz, beflügelter, beseelter. Es wird nicht viel geben an zeitgenössischer Radierung, was sich mit diesen Blätter“ messen kann. Deren Platten bei der Flucht im August 1914 in Paris blieben und verloren sind.
       Ein Bild aus der Pariser Zeit: Die »Pariser Landschaft«. Ein verhängter Himmel schwelt über den Dächern. Als läge Feuer in der Luft, als sei irgendwo, hinter dem Horizont, eine brennende Wolke, die fern hereinschimmre. Grün, braun, rot. Die Häuser hinter einem Schleier. Quer über den Himmel fetzende Zungen, Dann das »Selbstbildnis«: Der Kopf vor dem Vorhang in grün und rot. Die Augen lassen einen nicht los.
       Der Krieg warf ihn weit herum. In die Schützengräben in den Vogesen. Später in die Etappe, nach Gent, Brügge. Nach Oudenaarde, wo er ein Theater baute, es mit Fresken bernalte. Das Kriegsende sah ihn wieder in Regensburg. in seiner Soldatenzeit ist an Erwähnenswertem fast nur Graphik entstanden.
       Jetzt muß ich von der »neuen Kunst« reden. Oder was sich so nennt. Um eine große Linie aufzuzeigen: Cézanne war die allgemeine Richtung, nach der Achmann orientiert war. Seine Graphik brachte die ersten Vorstöße ins Neuland. Seine Holzschnitte hatten wie unter einem Zwang gelitten an überkommener Form. In seinen Radierungen war er ihr fast entwischt. Nun riß er, krafterprobend, alle Zäune ein. Von einem unheimlich sicheren Gefühl für Schwarzweißverteilung getragen, schuf er Blätter, die nichts mehr »darstellen«, deren Kraft und Schönheit im Fluß der Linien, in einem harten Rhythmus liegen. In seinen Bildern um 1918 dringt er mit gleicher Entschlossenheit gegen das neue Ziel vor. Ich zitiere ihn selbst. In der Monatschrift »Die Sichel«, die er mit mir herausgibt, schreibt er: »Die Farbe ist wieder gefunden, die Gestaltung neu gcfühlt, ihre Grenze unbegrenzt geworden. Brecht aus den Fesseln, die um euch gelegt werden sollen.« Dann: »War euch nicht der Zauber ansteigender Unendlichkeit der Ferne, die Innigkeit einkreisender Geborgenheit euerer Werkstatt, glücklich schauerndes Bedrücktsein der Dachkammer ungestaltbar geworden«. Und: »Warum laßt ihr euch nicht von eueren Gefühlen treiben, die euch in den Bann der Unendlichkeiten zwingen, die euch die Decke des Zimmers aufreißen, dessen Wände euch einkellen und dessen Schnittpunkte euch teilen?« Das Bild »Am Fenster« ist in dieser Zeit geworden. Ein neues Raumgefühl wirkt sich in ihm aus. Wände, Baum und Haus und Straße sind nicht vor? und hinter? und nebeneinander, sie sind zu einem magischen Dasein gezwungen.
       Was in der Wut des Ansturms grotesk sich überschlug, hat sich jetzt wieder besonnen. Achmann scheint nun in sein entscheidendes Stadium zu treten. Seine letzten Bilder sind von stärkster Geschlossenheit. Die Farbe ist ruhig, verhalten glühend, schön und innig. Das Neue ist noch da. Aber es ist nicht mehr freche Freude an sich aufbäumenden Gesten. Es ist eine innere Kraft. Durch einen Brennspiegel sammelnd, raffend, konzentrierend. Seine graphischen Blätter haben eine große Einfachheit erreicht. Mächtige, geschwungene Linien, breite strahlende Flächen von schwarz und weiß.
       Er sagt oft in Gesprächen über das Ziel seiner Kunst, er erstrebe die Einfachheit und Klarheit der alten Meister. Er sei gesegnet mit ihr!
       [1921]

     

    Münchner Künstlerköpfe: Josef Achmann

    Anmerkung
    Er ist so alt und so jung, wie es heute die Generation der Maler ist, die man die »junge« zu nennen pflegt, das heißt, er ist so im Anfang der Vierzig. Er ist mittelgroß, mager, mit dem Gesicht eines Bauern oder Mönches, mit einem bayerischen Gesicht, und das ist immer auch ein wenig ein römisches Gesicht, und er stammte auch aus Regensburg, das an der Donau liegt, wo der Limes lief und unsichtbar immer noch läuft. Er wuchs auf in dieser Stadt, und sollte Pfarrer werden, dachten die frommen Eltern, und er trug ein paar Jahre die schwarze Kutte des Mettener Klostergymnasiums (liegt auch an der Donau, das Kloster Metten!) ? aber er trug die Kutte nicht lang, bis zu seinem dreizehnten Jahr, es war doch nicht ganz das Rechte für ihn, Pfarrer zu werden, und ging in die Profanschule wieder, und wurde dann Bankbeamter, zwei Jahre lang, das war noch weniger das Rechte, und ging mit einundzwanzig nach München auf die Akademie, und das war wohl wieder nicht das Rechte, denn er sprang auch da bald aus und ging dahin, wo damals viele hingingen und was vielen gut tat und noch mehreren schlecht bekam (eines schickt sich nicht für alle!): er ging nach Paris.
       Das war alles vor dem großen und langen Krieg. Achmann war vor dem Krieg schon ein wenig »da«, ein bißchen kannte man ihn schon, damals, einige wenige kannten ihn, er hatte auch schon Bilder ausgestellt, in der alten Sezession, sehr farbig, von natürlicher Kraft und einem barocken, bayerischen Schwung im Umriß. Und vor allem, er radierte damals viel, und diese Blätter waren schon erstaunlich fertig, fertig und reif und gut, meisterlich fast, manche ein wenig zu meisterlich, zu dicht an dem großen Vorbild Rembrandt, aber einzelne Stücke frei und schön schwebend, zart und doch kräftig.
       So weit also war er vor dem Krieg, er stand auf einem guten und schönen Platz, hatte festen Boden, so schien’s, unter den Füßen[…] aber dann wurde plötzlich alles schwankend, wurde manchem manches schwankend damals. Zuerst mußte er Soldat sein, und als die Soldatenzeiten vorbei waren, kamen die tollen Zeiten nach dem Krieg, und er war wirr mit den wirren Zeiten und vergaß, daß er manches wußte, er gab vieles auf, war freiwillig arm mit Armen, die nichts herzuschenken hatten, er aber hatte was herzuschenken und schenkte was her, und quälte sich entsetzlich in dieser Zeit und trieb sonderbare Dinge in dieser Zeit und nannte es »malen«, und andere nannten es auch so, aber wer weiß, was das war. Spuk oder Verzweiflung oder Narretei, aber ein Charlatan war er nie, eher ein Windmühlenritter manchmal.
       Aber dann fiel ihm etwas ein, es wurde ihm etwas klar, ein Licht ging ihm auf, es ordnete sich in ihm etwas, das ging nicht so einfach, wie das hier steht, es geht überhaupt nichts einfach, es fing bei ihm mit einer Donaulandschaft an, die war groß und klar, ganz frei noch nicht von Krampf, aber er hatte wieder Boden unter den Füßen ? wie ist das schön, Boden unter den Füßen zu haben! Es entstanden dann, langsam und in Abständen, noch ein paar Bilder, und wenn er sich umsah, kam ihm der Platz, auf dem er stand, bekannt vor, war er hier nicht schon einmal gestanden? Aber der jetzt hier stand, war ein wenig ein anderer, stand ein wenig, stand viel höher, war freier und gebundener als damals.
       Und darin malte er in den zwei letzten Jahren drei und vier Landschaften, Winterlandschaften, Frühlingslandschaften, eine italienische Landschaft, und die mußten es doch in sich haben, weil sie so viele ansprachen, weil auf einmal so viele merkten, daß da etwas war, und zuerst hatten nur wenige gemerkt, daß da etwas würde, daß sich da etwas versteckte, aber es ist nicht Sache der Vielen, sich mit Bildern in ein Such und Versteckspiel einzulassen, und hier war nun auf einmal für alle etwas da, und die Vielen und die Wenigen merkten es, daß da auf einmal ein Maler der jungen Generation mit ein paar Schritten sich nach vorn geschoben hatte, sich in die erste Reihe geschoben hatte, und sich da gut machte, in der vordersten Reihe, sich sogar außerordentlich gut machte.
       Und »Bravo!« und »Glückwunsch!« sagten da manche still, die es gut und am besten mit ihm meinten!
     

    [1929]


    Holzschnitt Donau II