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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1  Seite 203
Kommentar Seite 640
Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«

Die Glaswolke
Ein Märchen

Die Glaswolke brach klirrend nieder von einem fremden Stern. Ein silberner Pfeil, von dem riesigen Bogen des Sternenjägers abgeschnellt, hatte sie blitzend die Sonnenkreise durchschnitten, um mit dem süßen Pfeifen von tausend Nachtigallen auf der Wiese zu landen. Nun wölbte sie sich wie ein gläserner Berg vor den Toren und überfunkelte die schwarzen Dächer. Als man mit großen Hämmern, Stemmeisen und Hebestangen sich daranmachen wollte, Blöcke von dem milchdunstig schimmernden Kegel abzutrümmern, zeigte es sich, daß es besser gewesen wäre, sich mit Scheren und Messern zu rüsten. Die glasähnliche Masse war weich und schmiegsam wie Gummi, ohne klebrig zu sein. Ein köstlicher, behutsamer Duft strömte von ihr aus, wie er den Frauen fremder Horizonte in gesalbten Achseln wohnen mag. Man schnitt große Stücke des himmlischen Glases ab. Die Tuchfabrikherren der Stadt errieten die Gefahr, die ihnen drohte. Aber ehe sie noch die Bittschrift an den Senat abgefaßt hatten, daß es verboten werden sollte, das sternhelle Gewebe in den Handel zu bringen, hatte sich schon eine kluge, bebende und eitle Frau daraus einen Mantel geschneidert und trug ihn im Triumph durch die Straßen. Eine Woche später prahlte alles in Kometenkleidern. Ein Glasmaler, der in ärmlichen Verhältnissen gelebt hatte, weil die Herstellung von Kirchenfenstern nur wenig einbrachte, kam auf den glücklichen Gedanken, die Glasseide bunt zu bemalen, mit Blumen und seltenen Ornamenten. Er konnte die Aufträge, mit denen man ihn berannte, nicht mehr bewältigen, trotz der zwanzig Gesellen, die er in Schichten arbeiten ließ und obwohl er selber Tag und Nacht hinter seinen Entwürfen saß. Als die Frau des Senatspräsidenten bei der Auffahrt zum Rennen in einer Glasrobe sich zeigte, auf deren grünem Grund flammendrote Pfauen sich spreizten, brach ein allgemeiner Jubel los. Kometenseide wurde die große Mode. Niemand mehr trug Kleider aus gewebten Tuchen. Der gläserne Berg wurde nicht kleiner und die Armen der Stadt gingen in schönen Gewändern wie nie in ihrem Leben. Nur die Tuchfabrikherren schritten traurig durch die Maschinenhallen, in denen kein Webstuhl sich mehr regte, seit man die Unterwäsche sogar aus dem billigen Stoff herstellte. Und der süße Duft des Glases schwelte durch alle Gassen und brannte wie ein feuriger Rausch in den Menschen.
   Da trat ein Ereignis ein, dessen Folgen nicht ohne weiteres abzusehen waren. Als eines Abends ein schwarzes Gewitter heraufzog, funkelte ein greller Blitz wie eine wütende Schlange über die Dächer. Aus irgendwelchen Gründen, sie mögen chemischer Art gewesen sein, zerflossen die gläsernen Kleider zu einer grünklaren Flüssigkeit und alle Menschen der Stadt standen nackt, wie eben dem Bad entstiegen. Junge Mädchen, die mit ihren Geliebten auf den Wällen lustwandelten, flüchteten schreiend in die nächsten Häuser. Eine Nonne, die auf dem Gang zur Kirche war, besaß Besinnung genug, von einem blühenden Baum sich Zweige zu brechen, um ihre Blöße zu decken. Glücklich waren diejenigen, die noch Tuchkleider von ehemals im Schranke hängen hatten. Andere konnten sich Wochen nicht aus dem Hause trauen, bis sie sich das Notwendigste angeschafft hatten. Die Tuchherren atmeten auf, der Glasmaler entließ die zwanzig Gesellen und zeichnete wieder Ritter und Heilige. Vor den Toren der Stadt aber glänzte ein Teich mit silbernem Spiegel.

[1919]