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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1  Seite 216
Kommentar Seite 640
Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«


Das weiße Pferd

Bukol erwachte im Zelt. Es war dunkel. Er blieb flach liegen, fühlte sich von Wärme getragen wie ein Stück Holz im Wasser. Er schloß die Augen, ließ sich tiefer sinken und stieß wie ein junger Fisch steil an die Oberfläche. Er krümmte die Knie, hoch, zur Nase, streckte sie wieder, beugte die Arme zu einem knackenden Kreis, klatschte in die Hände und sprang auf. Der Boden schaukelte unter ihm. Er lächelte, hielt sich an einer Stange fest. Er ging aus dem Zelt. Der Morgen brannte grün über den Horizontbergen. Über die Ebene her, in kurzen Sprüngen, näherte sich ein Pferd. Der lange Schweif flog im Wind. Tänzelnd blieb das milchweiße Tier vor Bukol stehn. Er faßte mit der linken Hand in die Mähne, stützte die rechte auf den Rücken des Pferdes und saß oben. In einem leichten, wiegenden Trab setzte der Schimmel die Hufe. Die Ebene schwand. Wald kam. Quellen sprangen. Vögel kreisten, Berge schoben sich heran und flohen wieder davon. Büsche rauschten am Weg. Teiche blitzten. Auf Wiesen drehten sich große runde Blumen. Bukol ritt vom Morgen bis zum Mittag. Er ritt vom Mittag bis zum Abend. Riesige Sterne liefen über den Himmel. Ein Komet stob sprühend dahin. Winde erwachten. Das Meer brauste gewaltig heran. Küsten donnerten und unendliches Land begann wieder. Bukol ritt. Eine große rote Sonne brodelte im Zenit. Das Pferd gab die ersten Zeichen von Müdigkeit. Der weiche Trab wurde stolprig. Es knickte in den Fesseln. Stürzte. Bukol fiel wie ein Kreisel drehend auf die Beine und hob die Peitsche und zog dem weißen Pferd drei Hiebe über das Fell. Drei schwarze Striemen blieben und vergingen nicht mehr. Bukol ritt weiter bis wieder zum Abend. Als es dämmerte, hielt das Pferd auf einem Hügel, mit stoßender Brust. Bukol stach ihm den Sporn tief in die Flanke. Blut begann zu fließen. In einem dünnen roten Faden lief es, wie aus einem unversiegbaren Brunnen. Das Tier stand mit zitternden Beinen. Und immer floß und floß das Blut. Tot brach der Schimmel in einer roten Lache zusammen. Bukol brachte die lange und schaurige Nacht auf dem Hügel zu. Am Morgen begann er die Wanderung nach den Zelten seines Stammes. Am dritten Tag, als er den See durchschwamm, um den Weg abzukürzen, ruderte vor ihm ein weißes Pferd. Am Ufer trabte es triefend davon. Nach Wochen erreichte Bukol, abgezehrt, zerlumpt, erschöpft die Seinen, die ihn schon tot geglaubt hatten. Er duldete nicht hinfort, daß man Schimmel aufzog. Jedes Schimmelfohlen ließ er töten. Er ritt nur Rappen. Er starb im Zweikampf, zu dem ihn ein Gastfreund gefordert, dessen weißes Pferd er im Stalle niedergestochen.

[1920]