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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1  Seite 259
Kommentar Seite 647

Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«



Der Georgsritter

Bei seiner Geburt bog die Mutter den weißen Hals zurück und starb mit einem lauten Schrei. Man mußte den Sohn vorm Vater verstecken, der ihn ermorden wollte, und so gab man Otto zu ländlichen Verwandten. Dort rauschten kellerschwarze Wälder, Wiesen grünten im Sommer und wurden im Winter weiß, und Hunde waren seine besten Spielgefährten. Als er fünf Jahre alt geworden war, holte man ihn zurück, weil sein Vater Hochzeit machte mit einer rundschultrigen Sängerin. Der Husarenoberst und Bräutigam glänzte wie eine große, überreife Himbeere am Ärmel seiner Frau. Sekt, den man Otto aus einem winzigen Glas zu trinken gab, machte ihn lachen, und lachend sah er, wie ein Herr im Frack, ein schwarzer Rabe, Früchte aus einer Schale pickte und davonflog. Später kam Otto zu den Kadetten. An den kalten Februarmorgen, im dünnen, schrägen Regen, an schwülen Augustabenden übten sie mit Gewehr und Säbel. Mit zwanzig Jahren trat er ins Regiment ein, und wurde wie durchschnittlich der Offizier, und trank in tiefen Nächten gemessen und immer unerschüttert Wein. Der Feldzug brachte ihm Auszeichnung. Er fing bei jenem Vorstoß, der in allen Zeitungen ausschweifend beschrieben wurde, den feindlichen Stab und seinen Führer, dem wichtige Aufzeichnungen in der Brusttasche steckten, und wurde daraufhin dem Könige vorgestellt. Der Krieg ging vorbei, der Friedensdienst begann wieder, und man sah dem ausgezeichneten Feldzugssoldaten vieles nach, selbst, daß er dicke Bücher las, Homer und Sophokles, alle antiken Schriftsteller und Abbildungen von den Gestalten griechischer Bildhauer um sich stellte. Dann lernte er Illa kennen, die das holprige Pflaster der kleinen Stadt verachtete und darum nur selten das Haus verließ und ihr Zimmer, in dem schneeweiße, betäubende Lampen brannten. Der Rittmeister hatte Otto bei ihr eingeführt. Illa rauchte viel, schlief wenig und spielte bis zum Morgengrauen mit ihrer neuen Puppe. Er machte sich zu ihrem Geschöpf und verbrachte den Winter nur in ihrer Gesellschaft, obwohl er ihr nicht näherkam und von ihrem Eigentlichen nicht mehr wußte als von dem blonden Fräulein, das ihm Tabak verkaufte. Sehr spät erst merkte er, daß Illa die Geliebte des Rittmeisters war. Er fuhr nach Berlin, erbat und bekam den Abschied von soldatischen Diensten, besuchte nun Vorlesungen an den Hochschulen, ging viel ins Theater und war ein regelmäßiger Kunde aller nächtlichen Vergnügungsstätten. Zweijahre ritt er so auf der pferdeköpfigen Woge des Großstadtlebens und war ein guter Reiter, und das Tier warf ihn nicht ab. Er stieg nur dann selber von diesem bockigen Gaul. Er spürte Ekel auf der Zunge und bebte vor Begierde, die Verwüstung seines Herzens mit der Verwüstung anderer zu rächen. Er mietete sich in einem Ostseedorf ein. Er war ein großer und schlanker Mensch von blühendem Aussehen und gefiel den Frauen. Sandelmaar hieß das Dorf, und alle Mädchen von Sandelmaar kannte er gut. Bis die Burschen des Ortes eines Nachts das Haus stürmten und den Verhaßten halbtotschlugen. Später ließ er sich in einer kleinen, süddeutschen Stadt nieder, führte ein zurückgezogenes Leben, beschäftigte sich mit Rosenzucht, übersetzte den Pindar, und die Gestalten griechischer Bildhauer glänzten immer noch um ihn. Er legte die Kleider seiner Jugend nicht mehr ab. Er ging noch in engen Hosen und weiten Röcken, als alles um ihn schon weite Hosen und enge Röcke trug. So wurde der alte Hauptmann eine allgemein bekannte und ein wenig komische Figur. Grauhaarig machte er noch eine Reise nach Berlin. Er stieg im besten Hotel ab, bestellte Schneider, Schuster und Haarkräusler und verwandelte sich binnen vierundzwanzig Stunden in einen modisch gekleideten, alten Herrn. Sein weißer Schnurrbart, sorgfältig gedreht, stieg lustig über seine geschminkten Lippen, und aus seinem Knopfloch nickte eine Blume, als er in einer vornehmen, kleinen Weinstube 5, zu Abend aß. Draußen brauste die große Stadt, schwoll die pferdeköpfige Woge des Daseins, und war er nicht ein guter Reiter wie je? Er zahlte, ging, die Bogenlampen sangen über ihm, ein Motorrad kam in scharfer Fahrt und knatternd die glänzende Asphaltstraße daher und auf ihn zu, und mit kühnem Helm saß der Jünglingsgott strahlend und lächelnd im Sattel. Er lief auf ihn zu, das große Auge sah ihn an, durchblitzte ihn, und den toten Alten zog man mit zerschlagenem Hinterkopf auf den Bürgersteig. Er hielt die Pindarübersetzung noch in der Leichenhand. Weil er Ritter des Sankt-Georg-Ordens war, wurde der Hauptmann Otto von S. mit militärischen Ehren zu Grabe getragen. Die Presse berichtete ausführlich über den feierlichen Akt und einmal an die kühne Tat, mit der er die Auszeichnung erworben hatte.