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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1  Seite 263
Kommentar Seite 647
Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«


Indianischer Film

Jimmy, der gerissenste der Kuhhirten, ritt einen Apfelschimmel. Wüst klimperten seine Messingsporen. Dann war da noch ein Rappe. Aber der hatte einen Hahnentritt. Dann ein Brauner, ein schneeweißer Schimmel, ein Fuchs mit flachsgelben Büscheln an der Stirn. Sie trabten über die Ebene. Die runden Hüte stiegen und fielen. Ganz fern, ein blauschwarzer Streifen, eine blaufunkelnde Raupe, war Wald. Judith, das Farmermädchen, las in der Blockhütte die Bibel. Die Bibel war ein schweres, schweinsledernes Ding, gewaltig, und sie blätterte mit schmalen Fingern darin. Sie trat vor die Tür und der Wind riß an ihren Röcken. Sie schirmte mit der Hand die Augen. Sie sah die Männer nicht, die im anderen Tal ritten. Die Pferdebeine waren in unaufhörlicher Bewegung. Die Roßschweife flogen. Die Männer nahmen die Zügel lockerer und die Schenkel dichter ran. Das Sattelleder knarrte. Näher schob sich der Wald, die blaue Raupe, krümmte sich, zuckte. Die Gegend wurde steiniger. Der Rappe mit dem Hahnentritt blieb zurück. Aber Joe gab ihm die Stiefel-Eisen.
 Das Geflecht der Vorgänge wird nun dichter geknüpft. An Baches Ranft lag die Rote Feder. Der Wind wehte durchs Gras und der Häuptling dehnte die Brust. An seinem Gürtel hingen Skalpe und der Wind wehte durch die Skalphaare, daß sie flogen wie die zittrigen Halme, daß sie flogen wie einst, als sie noch in lebenden Köpfen wurzelten. Es war noch derselbe Wind, derselbe lebendige Wind, aber sie waren nun wie Zwirn gedörrt, spröd, klingend wie Draht. Der Häuptling preßte die Lippen fest aufeinander und sein Blick jagte wie ein Adler. Aber er erjagte die Männer nicht, die im andern Tal ritten. Voran Jimmy, der gerissenste der Kuhhirten. Dicht hinter ihm Joe, der mit dem Stiefeleisen seinen Rappen mächtig vorantrieb. Mit geringem Abstand dann ein Brauner, ein schneeweißer Schimmel und ein Fuchs, mit flachsgelben, schlagenden Büscheln an der Stirn. Die Vorgänge verwirren sich weiterhin. Aber noch sind wir mitten in der Entwicklung. Der Kreis der Personen wird vergrößert. In einer großen Stadt des Westens verließ ein alter Herr das Wirtshaus. Automobile flitzten um die Ecken. Judiths Vater, der alte Herr, einen langen Bocksbart am Kinn, wurde überfahren, war tot, schrie nicht einmal mehr, der Bocksbart, tabakgebräunt, vergilbt, hing vom seitlich gedrehten Gesicht beschmutzt auf das Pflaster. Eine Verkehrsstockung entstand und ein Prärievogel, weit von der Ebene her, verirrt, sang verwirrt. Im fernen Tal ritten die Männer, Schenkel dichter ran. Die runden Hüte fielen und stiegen. Die Zusammenhänge werden nun offenbarer. Der Knoten schürzt sich. Auf Seelisches einzugehen wäre notwendig, wird jedoch vernachlässigt. Judith, die Waise nun, wird von der Roten Feder geraubt. Vom Gürtel des Häuptlings flattern die Skalpe, übern Sattel wie ein Sack hängt das Mädchen, weint und die Tränen nässen die strohknisternden, die toten, die raschellustigen Haare. Der Indianer, der rote Räuber, der Weibfleischdieb bringt die Beute in sein Dorf. Vor dem Wigwam sitzt Judith traurig. Ihre sinnenden Augen sehen in die Ferne. Im andern Tal reiten die Männer. An der Spitze Jimmy, der gerissenste der Kuhhirten. Der Rappe, der Braune, der Schimmel, der Fuchs hinterdrein.
 Eine Nebenhandlung wird aufgerollt. Licht aus der Vergangenheit fällt herein. Einst liebte die Rote Feder die Wippende Amsel, das schönste Mädchen vom Stamm der Waplahusen. Aber die weiße Judith, die elfenbeinerne, hat ihn mit Zauberei betört. Die Wippende Amsel, krummbeinig, Glühaugen unter sanften Brauen, sinnt auf Gewalttat. Judith, schon vaterlos, und weiß es nicht, hat einen Dolch im Nacken, und weiß es nicht. Massenszenen werden nun aufgeboten, Statisterie und Chor. Die Titiwapau haben das Kriegsbeil gegen die Waplahusen ausgegraben. Ein Waplahuse hatte den Schwanz eines Bibers auf einer Stange vor dem Häuptlingszelt der Titiwapau gehißt. Das ist die tödlichste Beleidigung, die einem Titiwapau zugefügt werden kann. Die Titiwapau tanzen den Kriegstanz. Ihr großer Medizinmann, die Funkelnde Ente, segnet ihre Waffen. Auch die Waplahusen bemalen ihre Gesichter mit grünen und blauen Farben. Sie zünden Feuer an und tanzen feierlich. Die Rote Feder ist Vortänzer, wie es die Vorschrift verlangt. Er tanzt und die Skalpe an seinem Gürtel wackeln, er schreit, und seine Krieger schreien mit und die Skalpe fliegen, daß die nackte Unterseite, vom Feuer beschienen, rot aufglänzt, rot wie ein aufgerissener Mund, als schrien sie mit.
 Im andern Tal reiten die Männer. Die runden Hüte steigen und fallen. Fluchte nicht Jimmy? Wacker hielt sich der Rappe mit dem Hahnentritt. In der großen Stadt begrub man den alten, bocksbärtigen Herrn. Es regnete, und der Geistliche stand bis zu den Knöcheln im gelben Friedhofslehm, und so machte er es schnell. Die wenigen Zuhörer verliefen sich bald. Auf der Friedhofsmauer, wild durchnäßt, struppelfedrig, saß der Prärievogel und wagte nicht zu singen. Am Abend brach die Sonne durch, orangegelb. Die Kundschafter der Titiwapau waren auf die Vorhut der Waplahusen gestoßen. Die beiden Heere lagerten sich und riefen Manitu an, den Sieg zu geben. Am Büffetberg entbrannte die große Schlacht.
 Es war an einem klaren Morgen, der Himmel war noch grün und eine Ziegenherde graste. Da pfiff der erste Pfeil, da sang der Speer, wie schrien sie, die Kämpfer! Die Sonne kam, die Ziegen galoppierten in eine Schlucht, wo es Wasser gab und fette Kräuter, und blieben dort den Tag. Abends wagten sich zwei freche Böcke, mit grünen Glasaugen, auf die Ebene hinaus. Mutwillig und verlegen hopsten sie über die steifen Körper der Toten. Sie grasten. War das hart! Einer zerrte, riß, das krachte! Das waren nicht Halme, das waren Skalphaare am Gürtel der Roten Feder. Der Mond stieg auf. Die Rote Feder lag auf dem Bauch. Blutrot sah sein Schädel, sein skalpierter Schädel, ein dunkelroter junger Mond zum großen alten Mond am Himmel auf.
 Nun biegt es rasch zum Ende ab. Die Männer, an der Spitze Jimmy, der gerissenste der Kuhhirten, langten am männerverlassenen, weibergekreischwiderhallenden Waplahusendorf an. Die Wippende Amsel hatte den Dolch hochgehoben, da schlug Joe das Zelttuch auseinander, da trat Joe ein, da richtete die Indianerin ihre Glühaugen auf den Reiter und ging ins Freie. Und dann trat Jimmy ins Zelt und dann hob Jimmy Judith aufs Pferd und dann ritten die Reiter in den Abend hinein. Die runden Hüte stiegen und fielen. Joes Hut war nicht mehr dabei. Joe band den hahnentrittigen Rappen ans Zelt und blieb bei der Wippenden Amsel und gründete mit ihr ein Mischlingsvolk, das von der Biberjagd lebte und das Christentum annahm. Jimmy und Judith machten ihre Hochzeitsreise zum Grabe des Bocksbärtigen. Und die Sonne ging auf und unter, der Wind wehte über das Präriegras und am Büffelberg weideten die grünglasäugigen Ziegen.

[1926]

 



In: Frankfurter Zeitung, Nr.213, 20.3.1926
Vgl. S.587 zu B's Verhältnis zum Kino.