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© Georg-Britting-Stiftung

Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Georg-Britting-Stiftung

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Band 5  Seite 225
Kommentar Seite 402

Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«
.. Diese Erzählung liegt, von Britting gesprochen, als CD 2 vor.



Die Antwort

Als eine Geschichte, für deren Wahrheit er sich verbürge, erzählte mir ein Arzt, daß man ihm einmal in die Abteilung des Krankenhauses, die ihm unterstand, einen über sechzig Jahre alten Mann eingeliefert habe, einen stämmigen Kerl, einen Riesen fast, wie ein Baum groß und mächtig, aber nun auch gefällt wie ein Baum, vom Schlag gerührt, blaurot, gelähmt und ohne Besinnung, und war wenig Hoffnung, ihn, wenn auch nur für kurz, wenn auch für eine Viertelstunde nur, ins bewußte Dasein zurückzubringen.
 Der Mann lag ohne Regung in dem eisernen Bett, das zu kurz war für ihn, weil für Riesen nicht gemacht, lag still und stumm, aber seine Verwandten drängten lärmend ins Krankenzimmer, und als man sie daraus vertrieb, brummten sie wie ein aufgeregter Schwarm von Hummeln auf dem Vorplatz und bestürmten den Arzt, alles aufzubieten und kein Mittel zu scheuen, daß der Bruder, der Onkel, der Vetter einmal noch mit erkennenden Augen ins Leben schaue. Darauf wollten sie warten, sagten sie, und warteten auch darauf, zitternd und gierig wie Hummeln auf Honig.
 Besorgte Verwandte konnte man meinen, sehr besorgte, die Abschied nehmen wollten von dem Sterbenden und ihm einmal noch die Hand drücken wollten, man begreifts, ehe sie erkaltete. »Fünf Minuten noch«, sagte aber die dickste der Hummeln, schwarz, im Gehrock, der Wortführer der Schar, »fünf Minuten noch muß er ins Bewußtsein zurück, oder zwei oder drei, damit er das hier unterschreibt«, und er schwang ein Papier, »und das ist sein letzter Wille, den man bei ihm gefunden hat. Gott sei Dank, und nur seine Unterschrift fehlt, nur sein Namenszug, und der muß hierher!« Man tat, was man konnte, und das gar nicht der drängenden Erben wegen, man tat, was man sonst auch getan hätte, wie es ärztliche Kunst und Pflicht will, und es half. Der Mann regte sich, der Mann schlug die Augen auf, und man hielt ihm das Papier hin, aber das schaute er gar nicht an, und dann winkte er, denn reden konnte seine gelähmte Zunge nicht, mit einem Wink gab er zu verstehen, daß man ihm solle die Schiefertafel geben und den Griffel, die neben ihm auf dem Tischchen lagen, daß er schreiben könne, wonach es ihn verlange, wenn er es schon nicht sagen konnte, und man gab ihm die Tafel, und er schrieb.
 Er schrieb: »Das Päcken«. Vielleicht war er nie sicher in der Rechtschreibung gewesen, der Mann, vielleicht wars nur sein Zustand, der ihn wie auf der Schulbank solch grobe Fehler machen ließ, er schrieb jedenfalls »Päcken« und meinte damit »Becken«, wie die Krankenschwester gleich erriet, meinte damit die Bettschüssel, so peinlich-unvermeidlich wie nützlich, und die jeder kennt, der einmal hilflos in einem Krankenhaus, in einer eisernen Krankenbettstelle lag.
 Sonst schrieb er nichts mehr, der Mann, auch nicht mehr seinen Namen auf den gewünschten Platz auf dem vorbereiteten Papier, denn er starb gleich darauf, aber war das, was er zu tun wünschte, und auch noch tat, nicht Antwort genug dem zudringlichen Gebrumm der Schmeißfliegen?
 Die flogen auch betäubt surrend weg und davon, und der stumme Witzbold lag nun still und unbelästigt im ewigen Schatten.