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© Ingeborg Schuldt-Britting

Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Ingeborg Schuldt-Britting

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Band 5  Seite 276
Kommentar Seite 413

Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«
.. Diese Erzählung liegt, von Britting gesprochen, als CD 1 vor.



Die schöne Magd

Von Wirtshäusern läßt sich viel erzählen, mit einem Wirtshaus zu beginnen, ist immer ein guter Anfang, und auch diese Geschichte beginnt in einem Wirtshaus und endet aber in einem Pfarrhaus und sie nimmt ein gutes Ende. Nicht jede tut das, so lustig ist das Leben nicht, das die Geschichten liefert.
 In einem ungarischen Landstädtchen, in dem auch deutschsprechende Bürger Besitz und Handelsgeschäfte hatten, gab es natürlich auch deutsche Wirtshäuser, die aber meist ungarische oder kroatische Dienstboten beschäftigten. Man kam gut miteinander aus, und einer lernte die fremde Sprache vom andern, der Herr vom Knecht und umgekehrt. Im deutschen Gasthof »Zum roten Ochsen« diente eine ungarische Magd schon seit über zehn Jahren treu und redlich und wusch das Geschirr und half der Wirtin in Küche und Keller und war ihr schier unentbehrlich geworden, meinte die dicke Frau in der stets blühweißen Schürze. Wie zwei Freundinnen fast taten sie ihre Arbeit nebeneinander, und so erschrak die Ochsenwirtin nicht wenig, als die Magd mit verlegenen Worten um ihre Entlassung bat. Sie sagte, die Magd, ihr Bruder brauche sie, der, es hatte lange genug gedauert, jetzt endlich eine eigene Pfarrei bekommen hatte, in einem Dorf, nur fünf Gehstunden entfernt vom Dienstplatz der Schwester. Die Wirtin sah es ein, daß der Bruder den Vorzug habe und mußte die Magd ziehen lassen.
 Auf einem Schiefertäfelchen rechnete sie umständlich aus, was die Magd noch zu fordern habe an Lohn, weil diese seit Jahren schon den größeren Teil davon bei dem Wirte sich hatte ansammeln lassen: er war ihre Sparkasse sozusagen! Schon daran erkennt man, daß die Geschichte vor langer Zeit sich ereignet haben muß, denn Mägde dieser Art gibt es nicht mehr heutigen Tages oder nur mehr ganz selten. Es war, es ungefähr zusagen, um das Jahr 1800, das ist eine schöne, runde Zahl, es kann aber auch ein Jahrzehnt früher gewesen sein oder später, das spielt hier keine Rolle. In der Gaststube also legte die Wirtin der Scheidenden das Geld auf den blanken Ahorntisch, in harten, klirrenden Stücken, ein stattliches Sümmchen und gab noch zwanzig Gulden dazu, weil sie immer so überaus zufrieden mit ihr gewesen war und schenkte ihr auch einen silbernen Rosenkranz.
 Die Magd knotete das Geld und den Rosenkranz in ein Schnupftuch und tat das Schnupftuch in eine verborgene Tasche ihres Unterrocks und dann gingen die beiden Frauen auseinander, unter vielen Tränen und Umarmungen, und der Wirt, der herzugekommen war, hätte fast auch geweint und schnitt fürchterliche Gesichter, es nicht tun zu müssen.
 Die Magd machte sich zu Fuß auf den Weg, schritt munter und unbeladen aus, denn ihre wenige Habe sollte ihres Bruders Knecht nächstens abholen. Es war ein wolkenlos blauer Tag im frühen Sommer und die Magd, ein hochgewachsenes Frauenzimmer mit einem schönen und zufriedenen Gesicht, freute sich, den Schmerz der Trennung still verwindend, schon auf ihr künftiges Daheim, und unter ihren Füßen wölkte der Staub, daran es in Ungarn nie gemangelt hat.
 Nun war, es hatte weiter niemand seiner geachtet, ein Mann bei seinem Glas Wein in der Gaststube gesessen, in der hintersten Ecke, als die Lohnauszahlung stattgefunden hatte. Der war zu Pferde gekommen und ritt jetzt der Magd nach. Bei einem Birkenwäldchen holte er sie ein. Er hatte einen langen, hängenden Schnauzbart, wie ihn die Kroaten zu tragen lieben, und ohne viel Umstände zu machen, sagte er, sie solle ihr Geld herausgeben, und dazu lachte er frech. Sie war nicht gewohnt zu lügen, die Magd, es war Sünde, aber jetzt und hier schien ihr doch erlaubt, zu einer Notlüge Zuflucht zu nehmen, und also sagte sie, sie habe kein Geld. Der üble Kerl lachte nur wieder und sagte, sie solle keine Fisematenten machen und zerrte ganz widerwärtig an seinem Schnauzbart, als wolle er ihn sich ausreißen, und knirschte mit den Zähnen. Die unerschrockene Magd aber behielt Fassung und Besinnung und während der Wegelagerer damit beschäftigt war, sein von einem Bremsenstich unruhig gewordenes Pferd zu bändigen, warf sie schnell das Schnupftuch mit dem Geld und dem Rosenkranz, ungesehen von ihm, hinter sich in ein Gebüsch.
 Der Räuber auf dem wieder stillen Pferde wurde jetzt arg böse und« »Heraus mit dem Zaster!« schrie er, und sie solle sich ausziehen, schrie er, er werde das Geld schon zu finden wissen, wo sie es auch versteckt haben möge, im Leibchen oder unter den Röcken! Und gleich stieg er ab, schlang sich den Zügel um den Arm, und half der Magd auf seine Räuberweise beim Ausziehen, riß ihr die Kleider herunter und Mieder und Hemd und durchstöberte alles und fand nichts und hatte keinen Blick übrig für die nun ganz hüllenlos vor ihm Stehende, auf das Geld nur erpicht! Die Magd schämte sich sehr ihrer Blöße und ihres vollen, weißen Busens und ohne Gewand zu sein vor einem Mann, auch wenn er sie nicht ansah, schien ihr größere Sünde als gelogen zu haben. Der Gauner nun, als er nichts und garnichts fand, bedrohte sie mit einem grausamen Tode, wenn sie jetzt nicht endlich mit ihren Gulden herausrücke und klopfte sich auf die Brust, wo seine Jacke sich verdächtig bauschte, und sagte, hier habe er eine Pistole, und sie sei schon geladen, und es war ihm anzusehen, daß er stracks ernst machen würde.
 Da sagte die Magd: »Dort hab ichs hingeworfen!« und zeigte auf das Gebüsch, und jetzt wurde der wüste Mensch wieder vergnügt und wies ihr seine prächtigweißen Zahnreihen unter dem Schnauzbart und sagte: »Halt derweil mein Pferd! « Er gab ihr die Zügel und kroch in das wilde Gebüsch hinein und seine Husarenstiefel sahen komisch daraus hervor und es blitzten die Sporen daran. Sie hörte ihn noch sagen: » Da ist es ja! « als sie sich, Bauerntochter die sie war und mit Pferden umzugehen gewohnt, schon in den Sattel geschwungen hatte, den Gaul mit den unbespornten Fersen mächtig antrieb und davon sprengte.
 Das gab nun freilich viel Verwunderns, als eine Frau, nackt wie Eva vor dem Sündenfall, die Dorfstraße daherritt, am hellen Tage, und die Bauernweiber am Brunnen hielten mit dem Schöpfen inne und bekreuzigten sich vor der weißen Teufelin und die Bauernburschen blieben wie erstarrt stehen und rissen den Mund und die Augen auf vor dem Anblick, denn die Magd war schön, wie gesagt, und herrlich und lustvoll zu betrachten.
 Vor dem Pfarrhaus neben der Kirche gelegen und gleich als solches zu erkennen, hielt die Reiterin und sprang aus dem Sattel und stürzte ins Haus und öffnete im Flur die nächstbeste Tür und hatte Glück, es war des Pfarrers Schlafstube, zu der sie führte, und riß das Leintuch vom Bett und hüllte sich darein. Dann rief sie laut ihres Bruders Namen. Der war gerade im Keller und hörte sie und kam herauf, wo er kühle Milch für sich geholt hatte. Sie erzählte ihm in der Geschwindigkeit das Notwendigste und er lobte ihren Mut und sagte aber auch: »Jetzt ist dein Lohn für viele Jahre dahin«, und bekam ein trauriges Gesicht. »Und der Rosenkranz auch! « antwortete die kluge Magd, »aber dafür haben wir das Pferd! « Wieder mußte der geweihte Herr sich wundern über die Umsicht seiner Schwester.
 Inzwischen hatte der Pfarrknecht, unter groben Flüchen, die ihm nicht anstanden, weil er ja geistliches Brot aß, die Leute verjagt, die das zitternde Pferd umstanden, und hatte es in den Stall geführt, zu des Pfarrers einziger Kuh. Und dann ergab es sich, daß das Pferd von edler Rasse war und einen überaus kostbaren Sattel trug und fein gearbeitetes Riemen- und Zügelzeug. In den Satteltaschen fanden sich keinerlei Papiere, aber an die tausend Gulden Bargeld. »Das ist Sündengeld und es klebt vielleicht Blut daran«, sagte der Pfarrer, »und wir wollen es dem Herrn Stuhlrichter anzeigen.« Die Behörden nun nahmen sich der Sache an und machten Nachforschungen überall hin, und die Kanzleien arbeiteten fieberhaft und die Landpolizei, aber von einem Räuber war keine Spur zu finden, als hätte der Erdboden ihn verschluckt. Es ist anzunehmen, daß er außer Landes gegangen war, dort sich zu betätigen, und vielleicht ist er dort auch am Halse aufgehängt worden, wie ihm nur recht geschehen wäre. Er hatte sich benommen wie ein Hecht, der, einen großen Fisch im Maul, nach einem kleineren schnappt und den großen deswegen muß fahren lassen und dieser Dummheit wegen hätte er verdient, zweimal aufgehängt zu werden.
 Erstaunlicherweise meldete sich niemand, der in der letzten Zeit beraubt worden und hätte Ansprüche gestellt. Vielleicht hatte der Kroat das Geld den eigenen Spießgesellen abgenommen, und die wollten nichts mit den Gerichten zu tun haben oder was sonst es eine Bewandtnis haben mochte mit dem Inhalt der Satteltaschen. Und also gab man der Magd von dem Räubergeld soviel als der ihr gestohlene Lohn betrug und sprach ihr überdies zweihundert Gulden zu, so, wie man ja auch einen Finderlohn bekommt, und auch das Pferd durfte sie behalten, so war es gesetzlich. Das beste Geschäft machte wie immer die Obrigkeit, die das Übrige beschlagnahmte, und das war das meiste, wie man leicht nachrechnen kann.
 Von dem ihr zugesprochenen Gelde stiftete die Magd für die Dorfkirche eine brokatene Altardecke und zwei große silberne Kerzenleuchter und das fand den allgemeinen Beifall. Und so trug man es ihr auch nicht nach, daß sie ohne Gewand sich hatte im Dorf sehen lassen. Ein paar alte Weiber zwar meinten, die Schwester des Pfarrers hätte, der Würde ihres Bruders eingedenk, schon vor den ersten Häusern des Dorfes absteigen können und die Nacht erwarten, um sich unbemerkt heimzuschleichen, jedes Ärgernis vermeidend - aber nachträglich und in Sicherheit so zu reden ist billig! Und die Spottvögel unter den Bauern gar pfiffen sich eins und sagten abends im Wirtshaus, die spindeldürren Hexen allerdings hätten guten Grund, sich niemandem und niemals in dem Zustand, wie der Herr sie auf die Erde geschickt habe, zu zeigen, und sie spuckten kräftig aus und lachten.
 Die Magd waltete ihres Amtes als Hausbesorgerin ihres geistlichen Bruders nicht lange. Einer der Burschen, ein wohlhabender Bauernsohn, der sie weiß und glänzend hoch zu Roß gesehen hatte, und ihm schwebte das Bild seitdem bei Tag und Nacht vor, hielt um ihre Hand an, und sie gab sie ihm.
 Und nur ihm auch sagte sie: Neulich beim Einschlafen sei ihr zu spät der Gedanke gekommen, daß sie dem Räuberkerl ja gar nicht das richtige Gebüsch hätte zu zeigen brauchen, sondern irgend ein anderes, in dem nichts zu finden gewesen wäre - so arg gescheit, wie man das jetzt überall von ihr erzähle, sei sie eben doch nicht-und sie gab ihm einen Kuß! Aber auch ihm nicht sagte sie, die kluge Magd, daß sie sich zuweilen eines sündhaften Ärgers nicht ganz erwehren könne darüber, daß der Kroat ihr Unbekleidetsein so gar nicht beachtet habe, und daß sie willens sei, das nächstens zu beichten, aber nicht ihrem Bruder, sondern dem Pfarrer des Nachbardorfes. So war ihre schöne Beschaffenheit.
 Bei der Hochzeit durfte natürlich die Ochsenwirtin nicht fehlen und nicht ihr Mann. Schwelgerisch ging es dabei her, mit Paprikagulasch und gebratenen Ferkeln und vielem roten Wein und die Ochsenwirtin schenkte der Neuvermählten ein himmelblaues Seidenkleid und auch einen neuen silbernen Rosenkranz.
 So endet diese Geschichte, die in einem Wirtshaus begann, nun doch nicht in einem Pfarrhaus: sie endet in einem Bauernhaus, mit einem strohernen Dach darauf und einem Ziehbrunnen vor dem Pferdestall, und die schöne Bäuerin gebar ihrem Mann fünf Kinder im Laufe der Jahre, und nie prügelte er sie, auch an den Festtagen nicht, wenn er betrunken war, wie es die anderen Bauern mit ihren Weibern machten: sie war des Pfarrers Schwester, aber das nicht allein hielt ihn davon ab!
 
 
 


Drucknachnachweise und Anmerkungen.

S. 276 Die schöne Magd
Britting am 1.2.1952 an Jung: ich lege ihnen die »schöne magd« in der neuesten fassung vor, die nun wohl hoffentlich die endgültige ist - genau weiß man das bei mir nie! schade, daß sie sie noch nicht hatten, als sie schäfer [d. i. Wilhelm Schäfer] und mich verglichen: sie haben geradezu ein germanistisches seminar in ihrem haus!
Zehn Tage später wiederum an Jung: die »schöne magd« betreffend und die jetzt eingeschobene stelle ihres ärger darüber, daß der räuber ihre nacktheit unbeachtet ließ - sie hat mir zu schaffen gemacht. ich werde den einschub lassen, aber noch verfeinern. da muß mit den leichtesten apothekergewichten gearbeitet werden. vielleicht muß es einmal von dem räuber heißen, daß er ein braungebranntes gesicht habe oder ein verwegenes, oder adleraugen, irgend eine zarte andeutung, daß er ihr unbewußt, winzigst, eindruck machte. »unbekleidet sein« gefiel und gefällt mir auch nicht, ich wollte nicht zu oft von nackt reden; es soll nichts lüstern sein aber doch versteckt erotisch.

E: Almanach der Hannoverschen Presse für das Jahr 1954,
u. d. T. Die ungarische Magd. Hg. Friedrich Rasche, Hannover: Hannoversche Druck und Verlagsanstalt 1953, S. 31-35.
D1: Lesestunde, Buchgemeinschaft, Heft 7,1955, S. 12-13,
u. d. T. Die ungarische Magd.
Der Text wurde noch mehrfach veröffentlicht.
D2: Anfang und Ende, S. 22.
Abermals hat Britting einen alten Zeitungsbericht aus Buchners Sammlung bearbeitet:
Augspurgische Ordinary Postzeitung, 1782, Nr. 259:

 Ungarn, den 16. Oktober:
Geistesgegenwart eines Mädchens
Folgendes wird von einer Dienstmagd in einer ungarischen Stadt erzählt: Sie hatte bey einem Gastwirthe 14 Jahre in Diensten gestanden, und begehrte endlich ihre Entlassung, um sich zu ihrem Bruder, einem Pfarrer, zu begeben. Die Frau zahlte ihr den noch zu fordernden Lohn, und weil sie mit ihr immer zufrieden war, noch zwei Gulden zum Geschenke. Dieß sah ein in der Gaststube sitzender unbemerkter Kerl. Er war zu Pferde dahin gekommen, und ritt der Magd sogleich nach, bis sie an ein Wäldchen gekommen waren. Hier forderte er ihr Ge1d.Während des Wortwechsels, der über ihr Läugnen, daß sie einiges habe, entstanden war, warf sie es rückwärts unter ein Gebüsch. Aber der Kerl, der davon versichert war, zog sie völlig aus, und drohte ihr endlich, als er ganz und gar nichts fand, mit dem Tode; und nun da in ihrer Angst wies sie ihn nach dem Fleck, wo sie es hingeworfen hatte. »Halt mein Pferd« sprach der Räuber, »ich will es suchen«. In diesem Augenblicke rannte sie flugs auf den Sattel hinauf, und sprengte in vollem Laufe nach dem Pfarrorte ihres Bruders. Da war nun freylich viel Wunderns über die Erscheinung dieser Heldin ohne allen gewöhnlichen Anzug. Als zuletzt (um nicht weitläuftig zu seyn) das Pferd in den Stall geführt wurde, entstand neue Verwunderung über die kostbare Seltenheit des Sattels; denn nach wahrgenommener Schwere fand man darum mehr als 2000 Gulden baar Geld an Gold und Silber eingepackt.