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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz

Band 1  Seite 253 - 258
Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«



Kommentar Seite 646


[Kurzprosa aus dem »Simplicissimus«J

Völkische Bibliophilie
Der Parlamentarier
[Begräbnis]
Der Gerechte
Theater
Literatur
Lyrik


Völkische Bibliophilie

Merkwürdige Dinge werden angepriesen in »vaterländischen« Zeitschriften. Nicht nur Hakenkreuze und gipserne Ludendorffbüsten und prima-prima Windjacken und schwarzweißrotes Fahnentuch.
O nein, auch Bücher!
Und sogar Lyrikbücher!
 Und sogar unter der Schutzmarke: »Ein Theodor Körner! «
 Nämlich: In einem Organ des »Treubund Schlageter«, des »Schlageterbunds« (das ist anscheinend etwas anderes) und des »Deutschen Volksordens« fordert man auf zu kaufen »das mannhafte Buch« von Fritz Kaiser:
 Heilige Flamme glüh!!
Ein Heroldsruf an die deutsche Seele.
Und fügt hinzu: In einem seinem ehernen Geiste würdigen Gewand, mit echtem Goldschnitt ringsum, ringsum Mk. 6.
 Wobei sowohl die beiden Rufzeichen hinter »glüh« als das doppelte »Ringsum« zwar rätselhaft, aber genau zitiert sind.
 Aber was will man, wenn die heilige Flamme in echtem Goldschnitt glüht!
Heil!

[1926]


 

Der Parlamentarier

Der neugebackene, Abgeordnete Andernacher hatte zum erstenmal parlamentarische Ferien, stieg am Morgen am Anhalter Bahnhof in Berlin in den Zug - und saß abends schon am heimatlichen Stammtisch, breit, hinter seinem Krug Bier, eine schwarze Zigarre im Mund, glücklich. Und die Freunde fragten.
 Der deutschnationale Freund, der sozialdemokratische Freund, der zentrümliche Freund - denn so verschieden waren die Stammtischbrüder gefärbt - sie alle waren neugiergespannt und huben an zu fragen: »Wie war's?«
 Herr Andernacher sog an der schwarzen Zigarre und erzählte: »Ich sag euch, das Reichstagsrestaurant, also pikfein!. Und, denkt euch...«
 Der Deutschnationale unterbrach ihn: »Hast du Hindenburg gesehn?«
 Herr Andernacher sagte: »Ja! Natürlich! Und denkt euch, im Reichstagsrestaurant . . . «, aber da fiel ihm hitzig der Sozi ins Wort und schrie: »Und den Scheidemann, hast du den auch gesehn, den Scheidemann?«
 Herr Andernacher sog nachdrücklicher am Glirnmstengel und bekam ein paar ungeduldige Falten auf der Stirn und brummte: »Ja, natürlich! Und denkt euch, im Reichstagsrestaurant gibt es . . . « Aber da fuhr der Zentrumsmann dazwischen: »Und den Doktor Wirth, den hast du auch gesehn?«
 Da schlug Herr Andernacher auf den Tisch und war rot im Gesicht wie eine Sozifahne, und seine Zigarre dampfte wie eine Lokomotive, und er brüllte: »Ja, den hab' ich auch gesehn, und den Löbe und den Geßler auch, und wenn ihr nicht aufhört, mit eurer dummen Fragerei, so komm ich nie dazu, euch zu sagen, daß es im Reichstagsrestaurant unser Bier hier,« und er hob strahlend sein Glas, »unser Kulmbacher Bier gibt.«
 Erschüttert griffen auch die drei Zuhausegebliebenen nach ihren Krügen, und gemeinsam sagten sie: »Prost!«

[1926]


[Begräbnis]

Bei Kunstmalers, die mit mir Landleben genießen, im gleichen Haus, einen Stock höher, scheint geniale Unordnung zu herrschen.
Dafür sprechen vielerlei Anzeichen.
 Zum Beispiel, daß der jüngste Sohn des Künstlerpaares, ein aufgeweckter, elfjähriger Junge, manchmal ebenso drollige wie treffende Bemerkungen über die elterliche Schlamperei macht.
 Neulich, am See, spielen Mutter und Kind im Strandkies. Da bekommt die Malerin einen elegischen Anfall und sagt: »Hans, wenn ich tot bin, verscharrst du mich einfach hier im Sand!«
 Aber der Junge wittert schon wieder die verhaßte Bohemewirtschaft und schreit ablehnend: »Nein, nein, Mutti, du wirst, wie andere Leute auch, ordentlich auf einem Friedhof beerdigt.«
 Und wirft wütend einen Stein in den See.

[1927]



 

Der Gerechte

Auf der flimmernden Leinwand macht Chaplin seine heiter-traurigen Kapriolen, im » Zirkus« . Vor mir, in der Pause, fragt einer seinen Nachbarn: »Hältst du den Chaplin für einen Juden?«
»Dös siehst ihm doch an«, antwortet der.
 Der Frager, der sich über Charlie schief gelacht hat, nestelt am Rockaufschlag.
 »Was machst?« fragt der Nachbar nun.
 »I will mein Hakenkreuz einstweilen in d'Taschn stekken. Wenn man mich hier sehen tät! In so einem Judentheater!«
 Und er tut's, und der Film läuft weiter, und läuft zu Ende,
und Charlie geht's schlecht, und er bleibt bedeppert allein zurück, der Charlie - und dann wird's wieder hell im Kino, und der Hakenkreuzler steckt sein Hakenkreuz wieder an und spricht: »Für an Judn! Net schlecht! Gar net schlecht!«
 Und stolz über seine objektive Haltung geht er ab, der Hakenkreuzler.

[1928]


 
 

Theater

Ich hab' einen guten Bekannten, der ist Heldendarsteller an unserm Stadttheater.
 »Was wählst du denn diesmal?« frag' ich ihn, als ich ihn zufällig auf der Straße treffe.
 »Einen Kommunisten«, erwidert er rollenden Auges. »Dieses morsche System verdient zerschmissen zu werden, daß darauf ein Bund freier und brüderlicher Menschen errichtet werde! « Er geht, und ich schau' ihm erstaunt nach.
 Vierzehn Tage später stoß' ich wieder vorm Theater mit ihm zusammen. »Morgen«, sage ich, »morgen ist Wahltag. Du wählst also kommunistisch?«
 Er sieht mich groß und abwehrend an. »Kommunistisch wählen? Die Herrschaft des Pöbels heraufführen? Nein! Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen! Man muß aristokratisch sein in diesem nivellierenden Zeitalter. Ich wähle deutschnational!«
 Und geht, und läßt mich verblüfft stehen. Grad kommt der Charakterspieler aus dem Theater heraus. Wütend sag ich zu ihm: »Dieser Benckengrott! Vor vierzehn Tagen wollt' er kommunistisch wählen, und jetzt auf einmal deutschnational! «
 Der Charakterspieler lächelt. »Vor vierzehn Tagen spielte er den Räuber Karl Moor! Aber gestern begannen die Proben zu Coriolan, und er spielt den großen Volksverächter! «

[1928]




 

Literatur

Ort des Gesprächs: Die Berninabahn. Sprechende: Zwei Ehepaare.
»Wo werden Sie denn in Zermatt wohnen?«
 Selbstverständlich bei Seiler; etwas anderes kommt doch dort gar nicht in Frage!«
 »Sagen Sie mal, bei Zermatt gibt es doch irgend etwas ganz Bekanntes in der Nähe?«
 »Sie meinen wohl die Teufelsbrücke?«
 »Ach ja, von der hat sich doch mal eine Berliner Schauspielerin herabgestürzt!«
 »Natürlich, das ging ja damals durch alle Zeitungen!«
 »Aber da ist doch schon früher mal was passiert.«
 »Freilich, da hat sich ja auch der Rechtsanwalt Hau heruntergestürzt!«
 »So? - Sich selbst aber bestimmt nicht! Ich weiß nur nicht mehr genau, ob seine Frau, seine Schwägerin oder seine Schwiegermutter! Jedenfalls kamen sie alle drei irgendwie bei der Geschichte vor!«
 (Sehr bestimmt hinter der Zeitung!)
 »Nun natürlich doch seine Schwiegermutter! Übrigens war das aber gar nicht bei Zermatt! Soviel ich weiß, hat er sie in Rom irgendwo heruntergeworfen!«
 »Ja, die Geschichte ist schon zu lange her, - aber eine Teufelsbrücke kam irgendwie darin vor!«
 »Jetzt hat doch ein ganz bekannter Schriftsteller einen großen Roman daraus gemacht! Wer war's doch gleich?«
 Zögern und allgemeines Überlegen.
 Endlich: »Ach ja! Kellermann hat doch ein neues Buch geschrieben, wo der Fall Hau drin vorkommt!«
 »Spielt das nicht auch in Davos bei lauter Lungenkranken?«

[1928]


 

Lyrik

Ich hab' einen guten Bekannten, der ist Buchhändler.
Bücher werden heut wenig gekauft, wie man weiß.
 Das paßt aber meinem guten Bekannten, der Buchhändler ist, nicht, das paßt ihm sogar ganz und gar nicht.
 »Reklame, Reklame«, sagt er, »man muß Reklame machen!«
 Und stellte Gedichtbücher in sein Schaufenster, und ein Plakat vor die Gedichtbücher, auf dem stand in grellroten Buchstaben: Man liest wieder Lyrik!
 Vier Männer betraten nacheinander den Laden.
 Der erste hatte lange Haare und sagte: »Man liest wieder Lyrik? Wollen Sie nicht auch meinen Versband ›Unter wandernden Wolken‹, bei mir im Selbstverlag erschienen, dazustellen?«
 Der zweite hatte einen Stapel Bücher unterm Arm und sagte: »Man liest wieder Lyrik? Darf ich Ihnen antiquarisch diese Gedichtbände billig anbieten?«
 Der dritte kaufte eine Fahrradkarte der Umgebung Münchens und sagte: »Man liest wieder Lyrik? Sonderbare Menschen gibt's!«
 Der vierte war ein Stammkunde des Geschäfts und ein Wahrheitsfanatiker und sagte: »Schämen Sie sich, so zu lügen!«
 Da nahm mein Freund, der Buchhändler, die Gedichtbücher und das Plakat wieder fort und stellte Detektivromane ins Schaufenster.
 Davon verkaufte er auch wirklich binnen drei Tagen ein Stück.

[1930]