zurück zum Inhaltsverzeichnnis
zur nächsten Prosa


Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1  Seite 271
Kommentar Seite 648
Als Pdf-Datei öffnen
Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«


Der Scaliger reitet

Es ist am zweiten Mai, und ein grauer Himmel über Verona, es hat auch schon eine Stunde geregnet, nun nicht mehr, aber die Orangen in den Körben, in den Verkaufskörben der Piazza Erbe glänzen noch feucht, noch feucht die grüngelben Finger des Spargels. Ich wende mich, und wie überall hier in Verona: eine Mauer, ein Turm mit den gezackten Scaligerzeichen.
 Diese Türme, diese Mauern, diese Brücken, immer gekrönt mit diesen scharfgeschnittenen, heftig eingerissenen, stürmischen, gewalttätigen, treppig auf- und absteigenden steinernen Zinnen, sie regen das Blut auf, sie haben etwas Hitzigmachendes, ihr stoßender Gang fährt einem in die Knie wie eine Marschmusik, eine wirbelnde. Die Scaliger, die toten Herren der Stadt. Sind die lebendigen Herren der Stadt, diese Herren della Scala, diese Herren von Treppe, und ihr Treppenwappen, ihr Leiterwappen, in Stein gemeißelt, in Holz geschnitten, aus Eisen geschmiedet, an welcher Häuserecke, in welchem Kirchenwinkel steigt es nicht eilig und frech und hühnerleitersprossig, auf zwei dünnen Beinen stelzend, schräg und fliegend hinauf?
 Die Äpfel glänzen feucht und die Spargel, und die großen Steinplatten des Bodens sind schwarzgenäßt und kalt, und der Himmel ist grau, und ich gehe langsam weiter, durch eine schmale Gasse und über einen viereckigen Platz und durch einen Torbogen, und da reitet hoch in der Luft ein Geharnischter.
 Er reitet auf einem Gaul, und der Gaul trägt ein Gewand, ein kettengeflochtenes, ein metallisches, so scheint's, das vorn wie eine Haube über dem Kopf sitzt und übenden gebogenen Hals weiter läuft und über den Rumpf und faltig und schützend über die Brust, über die Vorderbeine, die Hinterbeine herabfällt und kaum die Hufe freigibt. Und dieser steinerne Gaul dreht den Kopf zu mir, zwischen seinen Ohren, die die Haube durchstechen, sitzt mit aufgerecktem Hals ein vogelartiges Wappentier; dieser lebendige steinerne Gaul sieht aus den Augenschlitzen, aus den dunklen Halbkreisen, die die Haube löchern, neugierig und eitel und höhnisch überlegen auf mich nieder.
 Die Knie durchgedrückt, ein breites, langes Schwert in der Rechten, eine Kettenhaube über dem Kopf, den Sturmhelm im Genick, den Sturmhelm, der ist wieder das langhalsige, vogelartige Tier, mit gesträubten Federn diesmal, sitzt ein Geharnischter auf dem Gaul, der den Kopf dreht wie sein Gaul und frech und verschmitzt herablächelt zu mir, neugierig und überlegen und niederträchtig hohnvoll wie das Tier. So reitet Can Grande I., der mächtigste der Scaligen, steinern und lebendig, und ist frech in seiner Größe und gewaltig in seiner Frechheit, und gewaltig frech war der Bildhauer, der ihn so sah und sehen ließ, daß er ihn so sah.
 Jetzt fängt's zu regnen an vom grauen Himmel, und der Scaliger, der Scaliger reitet.

[1926]