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Georg Britting
Sämtliche Werke  - Prosa -
Herausgegeben von Walter Schmitz
Band 1  Seite 269
Kommentar Seite 648
Aus: »Erzählungen, Bilder, Skizzen«
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 Auf dem Brenner

Innsbruck lag unter einem blauen Himmel, der zitterte leicht, aber das war wahrscheinlich Augenblendung, das war unsere Erwartung, die ihn zittern machte, das war unsere Begierde, nun den Berg hinauf zu fahren, durch viele, schwarze Gänge, die Flanken des Berges hinauf, die grünen Flanken. Wir fuhren schon, oft sah man die grauen, steinernen Rippen, die sich abzeichneten unter dem moosigschwellenden Fleisch, bald war man oben! Und der blaue Himmel, der sich wölbte, die riesige Halbkugel, die hier, diesseits, auf den grauen Berghängen aufsaß, und die drüben, das weiß man, sich tief hinabbog, Südtirol, das Immerdeutsche, überspannte, bis der Jenseitsrand fern in Italien wieder zu Boden kam, und da mußte in jenem Italien der Himmel blauer sein als bei uns, das weiß man auch, und er zitterte schon, sich verändernd, in Innsbruck.
 Da hielt der Zug auf dem Brenner, ich riß das Fenster auf und sah hinaus. Zum Himmel auf sah ich nicht, ich sah auf den Bahnsteig, da liefen ein paar eilige junge Männer in schwarzen Hemden, denen kroch über die Brust ein bunter ,,Regenwurm, das waren Ordensbänder von vielen Farben, und auf dem Kopf trugen sie schwarzglänzende Mützen, `merkwürdige Mützen, so wie Turbane, es sah nach Asien :aus. Die Schwarzhemden liefen, verschwanden im Bahnhofsgebäude, und dafür traten zwei andere draus hervor, zwei Burschen, die waren noch keine Zwanzig, das sah man, mit roten Bauerngesichtern, zwei Bewaffnete, wie waren die angezogen! Ja, jetzt wußte ich es, sie waren angezogen, wie man Soldaten auf der Bühne anzieht in Stücken, die etwa im Jahre 1865 in Agram spielen, so waren sie angezogen. Sie trugen Schifthüte auf ihren blonden Bauernjungenschädeln, Schiffhüte, wie sie bei uns und bei der Fronleichnamsprozession die hohen Beamten tragen, und dazu langschössige, blaue Röcke, frackähnliche, und lange, blaue Diplomatenhosen mit knallroten, hellziegelroten, handbreiten Streifen und einen weißen Ledergurt um die Hüften und weiße Patronentaschen und einen armlangen Säbel an der Seite, dessen schwarze Scheide unten mit Messing beschlagen glänzte.
 So schritten die beiden italienischen Bauernjungen und Schutzleute, das waren sie wohl, nebeneinander auf dem Bahnsteig der Brennerstation auf und ab, und ich starrte sie an und hätte fast vergessen, zum Himmel aufzublicken, der mich in Innsbruck so begierig gemacht hatte, wie er wohl oben auf dem Brenner sein würde. Nun sah ich ihn doch an. Ja, er war blau, aber er zitterte nicht mehr, und die beiden Polizeisoldaten, nun ganz am Ende des Bahnsteigs angekommen, standen still und hoben sich scharf ab gegen die himmlische Bläue. Ihre Schiffhüte schwammen in der Luft, so schien's. Fest halten! wollte ich rufen, sie schwimmen weg, steigen weg sonst zu der einsamen Wolke, die dort hängt! Aber die Burschen setzten sich wieder in Bewegung, die Hüte saßen wohl fest, und gleich darauf waren sie dicht unter meinem Fenster und ich konnte erkennen, daß sie tief in den Kopf gezogen waren und daß sie diese Bauernköpfe nicht leichtsinnig und schwebend verlassen würden.
 Nur die einzige, weiße Wolke drehte sich und nahm die Richtung nach Süden.

[1926]